Georg Gänswein im Interview "Vergleiche mit George Clooney schmeicheln mir"

Rom · Kurienerzbischof Georg Gänswein schwor dem emeritierten Papst Benedikt XVI. Treue bis in den Tod. Nun lebt er im Kloster Mater Ecclesiae im Schatten des Petersdoms. Ein Gespräch über die zwei Päpste, das neue Leben und die Einsamkeit im Vatikan.

 Stets an der Seite von Benedikt: Kurienerzbischof Georg Gänswein.

Stets an der Seite von Benedikt: Kurienerzbischof Georg Gänswein.

Foto: AP

Der Vatikan wirkt an diesem finsteren Nachmittag im Januar wie verwaist, Papst Franziskus ist auf Reisen. Kurienerzbischof Georg Gänswein (58), Präfekt des Päpstlichen Hauses, erscheint im schwarzen Talar. Gerade hat er noch in den Vatikanischen Gärten den Rosenkranz mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. gebetet. Mit ihm und vier Helferinnen lebt Gänswein im Kloster Mater Ecclesiae im Schatten des Petersdoms zusammen. Gänswein führt in die ausgestorbenen Gemächer der Präfektur. In Abwesenheit des Papstes hat der Präfekt seinen Mitarbeitern freigegeben. "Als Anerkennung", sagt er. In seinem Arbeitszimmer mit Blick auf den Petersplatz sind ein übervoller Schreibtisch und nicht ausgepackte Umzugskisten zu erkennen. Das Interview findet im prächtigen Empfangssaal des Präfekten statt. Monsignor Gänswein wirkt gut gelaunt und zündet vor dem Gespräch noch einmal den Adventskranz an.

Sie haben Benedikt Treue bis in den Tod geschworen. Das bedeutet auch, dass Sie bis dahin an seiner Seite, also im Vatikan bleiben werden?

Georg Gänswein Am Tag seiner Wahl zum Papst hatte ich ihm versprochen, ihm in vita et in morte beizustehen. Mit einem Rücktritt hatte ich damals natürlich nicht gerechnet. Das Versprechen gilt aber und behält Geltung.

Spricht Benedikt manchmal über seinen Rücktritt? Ist er erleichtert?

Gänswein Er ist mit sich im Frieden und überzeugt, dass die Entscheidung richtig und notwendig war. Es war eine durchbetete und durchlittene Gewissensentscheidung, und damit steht jeder Mensch vor Gott allein.

Sie hatten mit Benedikts historischem Rücktritt im Februar 2013 zu kämpfen. Wie denken Sie heute über diesen Schritt?

Gänswein Es stimmt, dass mir die Entscheidung zu schaffen machte. Es fiel mir nicht leicht, sie innerlich anzunehmen. Ich hatte zu kämpfen, um damit fertig zu werden. Der Kampf ist inzwischen längst ausgestanden.

Sie werden zuweilen "George Clooney des Vatikan" genannt. Schmeichelt Ihnen das oder nerven Sie solche Vergleiche? Haben Sie den Schauspieler schon einmal getroffen?

Gänswein Als dieser Vergleich vor Jahren das erste Mal an meine Ohren gelangte, hat es die Eitelkeit gekitzelt und mir geschmeichelt. Im Laufe der Zeit, als er immer wieder zu lesen war, ging es mir langsam auf die Nerven. Heute kann ich darüber schmunzeln. Nein, George Clooney in persona habe ich bisher nicht getroffen. Sollte ihn sein Weg einmal nach Rom führen, dann ist er natürlich herzlich willkommen.

Wie erleben Sie Franziskus zwei Jahre nach seiner Wahl?

Gänswein Papst Franziskus ist ein Mann, der von vornherein klar gemacht hat, dass er Dinge, die er anders sieht, auch anders anpackt. Das gilt für die Wahl seiner Wohnung, des Autos, das er fährt, für den ganzen Audienzbetrieb im Allgemeinen und für das Protokoll im Besonderen. Man kann sich denken, dass das am Anfang gewöhnungsbedürftig war und ein gehöriges Maß an Flexibilität verlangte. Inzwischen ist daraus Alltag geworden. Der Heilige Vater ist ein Mann von außergewöhnlicher Schaffenskraft und lateinamerikanischem Schwung.

Vor einem Jahr sagten Sie: "Wir warten noch auf inhaltliche Vorgaben." Sind diese denn inzwischen zu erkennen?

Gänswein Ja, viel deutlicher als vor einem Jahr. Denken Sie an das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium". Darin hat er einen Kompass seines Pontifikats vorgelegt. Darüber hinaus hat er im Laufe des Jahres wichtige Dokumente veröffentlicht und bedeutende Ansprachen gehalten, wie etwa in Straßburg vor dem Europaparlament und dem Europarat. Konturen haben sich deutlich abgezeichnet, und es wurden klare Akzente gesetzt.

Welche?

Gänswein Der wichtigste Akzent heißt Mission, Evangelisierung. Dieser Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch. Keine innerkirchliche Nabelschau, keine Selbstreferenzialität, sondern das Evangelium in die Welt hinaustragen.

Haben Sie Verständnis für Francis George, den emeritierten Erzbischof von Chicago, der kritisierte, die Worte des Papstes seien manchmal ambivalent?

Gänswein Es gab in der Tat Fälle, da musste der vatikanische Pressesprecher nach einschlägigen Veröffentlichungen eingreifen, um Klarstellungen vorzunehmen. Korrekturen sind dann erforderlich, wenn bestimmte Aussagen zu Missverständnissen führen und von bestimmten Seiten vereinnahmt werden können.

Hat Franziskus die Medien besser im Griff als sein Vorgänger Benedikt?

Gänswein Franziskus geht mit den Medien offensiv um. Er nutzt sie intensiv und direkt.

Auch geschickter?

Gänswein Ja, er nutzt sie sehr geschickt.

Wer sind eigentlich seine engsten Ratgeber?

Gänswein Diese Frage geistert stets und beständig umher. Ich weiß es nicht.

Mit den beiden Synoden zur Familien-Seelsorge im vergangenen und kommenden Herbst hat Franziskus einen Schwerpunkt gesetzt. Vor allem die Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten sorgt für Meinungsverschiedenheiten. Manche haben den Eindruck, Franziskus sei mehr an der Seelsorge gelegen als an der Lehre.

Gänswein Diesen Eindruck teile ich nicht. Da wird ein Gegensatz konstruiert, der so nicht existiert. Der Papst ist oberster Garant und Hüter der kirchlichen Lehre und gleichzeitig oberster Hirte, oberster Seelsorger. Lehre und Seelsorge bilden keinen Gegensatz, sie sind Zwillinge.

Sind der amtierende und der emeritierte Papst bei den wiederverheirateten Geschiedenen entgegengesetzter Auffassung?

Gänswein Ich kenne keine lehrmäßigen Aussagen von Franziskus, die der Auffassung seines Vorgängers entgegenstünden. Das wäre absurd. Das eine ist, das pastorale Bemühen deutlicher zu betonen, weil die Situation es erfordert. Das andere ist, eine Änderung in der Lehre vorzunehmen. Ich kann seelsorgerisch einfühlsam, konsequent und gewissenhaft nur dann handeln, wenn ich das auf der Grundlage der vollen katholischen Lehre tue. Die Substanz der Sakramente ist nicht in das Belieben der geistlichen Hirten gestellt, sondern vom Herrn der Kirche vorgegeben. Das gilt auch und gerade für das Ehesakrament.

Gab es den Besuch einiger Kardinäle bei Benedikt während der Synode mit der Bitte, er solle zur Rettung des Dogmas eingreifen?

Gänswein Einen solchen Besuch bei Papst Benedikt hat es nicht gegeben.

Wie reagiert Benedikt auf die Versuche traditionalistischer Kreise, in ihm einen Gegenpapst zu erkennen?

Gänswein Es waren nicht traditionalistische Kreise, die das versucht haben, sondern Vertreter der theologischen Zunft und einige Journalisten. Von einem Gegenpapst zu sprechen ist einfach dümmlich, aber auch verantwortungslos. Das geht in Richtung theologische Brandstiftung.

Traditionalistische Kreise identifizieren sich jedoch häufig mehr mit Benedikt als mit Franziskus.

Gänswein Meine Erfahrungen decken sich nicht mit dieser eher suggestiven als realistischen Vermutung. Konfliktpotential wäre nur dann vorhanden, wenn es Unklarheiten in den Kompetenzen gäbe: Die gibt es aber nicht! Der emeritierte Papst ist doch keine Rekursinstanz für den regierenden Papst.

Zuletzt gab es Aufregung um einen Beitrag, der im jüngst neu aufgelegten Vierten Band der Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers erschienen ist. Der Autor hat einige Schlussfolgerungen zum Thema der wiederverheirateten Geschiedenen im Sinne einer strikteren Haltung abgeändert. Wollte Benedikt sich damit in die Synodendebatte einmischen?

Gänswein Keineswegs. Die Überarbeitung des genannten Aufsatzes aus dem Jahre 1972 war bereits lange vor der Synode abgeschlossen und dem Verlag zugesandt. Es sei daran erinnert, dass jeder Autor das Recht hat, in seine Schriften einzugreifen. Jeder Kundige weiß, dass Papst Benedikt die Schlussfolgerungen des genannten Beitrags spätestens seit 1981 nicht mehr teilt, das sind mehr als 30 Jahre! Als Präfekt der Glaubenskongregation hat er dies in verschiedenen Stellungnahmen klar zum Ausdruck gebracht.

Benedikt XVI. hatte nach seinem Rücktritt versprochen, "verborgen vor der Welt" zu leben. Er taucht aber doch immer wieder auf. Warum?

Gänswein Wenn er bei verschiedenen wichtigen kirchlichen Ereignissen präsent ist, dann deshalb, weil er von Papst Franziskus persönlich eingeladen wurde.

Bischöfe sollen Hirten sein. Fühlen sie sich an der römischen Kurie zuweilen wie ein Hirte ohne Herde?

Gänswein Ja, manchmal schon. Aber inzwischen kommen immer mehr Einladungen zu Firmungen, Jubiläumsmessen und anderen Gottesdiensten. Der direkte Kontakt mit den Gläubigen ist wichtig. Deshalb nehme ich, wenn immer möglich, pastorale Aufgaben an. Das tut gut und auch not. Und das ist die beste Medizin gegen eine der von Franziskus aufgelisteten Kurien-Krankheiten: die Gefahr, ein Bürokrat zu werden.

(RP)
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