Düsseldorf Verdis "Don Carlo" ohne politische Brisanz

Düsseldorf · Guy Joosten inszeniert die Oper in Düsseldorf als Privatsache. Grandios: Gianluca Terranova in der Titelrolle.

Theodor W. Adornos berühmter Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" ist zwar moralisch überheblich formuliert. Er stellt aber doch immer noch sehr richtig fest, dass privates Leben nicht glücken kann, wenn die gesellschaftspolitischen Umstände fatal sind. Das würde Regisseur Guy Joosten sofort unterschreiben. Schließlich handeln von dieser Abwärts-Dynamik die meisten Theaterstücke und Opern. Und ganz besonders Verdis "Don Carlo" nach Schillers flammendem Drama.

Guy Joosten aber interessiert sich in seiner Neuinszenierung von Verdis Meisterwerk nun fast ausschließlich für die privaten Katastrophen. Das beschert dem Premierenabend dichte Momente und gewitzte psychologische Details. Aber auch ernüchternde Flapsigkeiten.

Etwa wenn Marquis Posa wagt, von König Filippo Gedankenfreiheit zu fordern: Bei Joosten lässt Posa sich erstmal lässig aufs Bett plumpsen und legt die Füße hoch, obwohl er sich mit seiner Provokation doch in Todesgefahr begibt.

Solche Szenen der Verkleinbürgerlichung gibt es zuhauf. Auch der Großinquisitor, bei Verdi uralt, blind und mit der nachtschwarzen Tonspur eines erstarrten Fanatikers grundiert, schreitet hier elastisch herein und verabschiedet sich nach siegreichem Machtkampf vom König mit lustigem Winken, als wolle er sagen: "Dann bis nachher!"

Joosten kassiert die Fallhöhe also systematisch und schiebt die Politik ganz buchstäblich an die Wand. Deshalb muss der Chor auch immerzu hinten stehen bleiben, weshalb das gellende Knattern der Autodafé-Szene Schöngesang bleibt. Und die Ketzerverbrennung gerät mittels projizierter Flammen-Züngelei dekorativ wie ein virtuelles Kaminfeuer. Die Brisanz, mit der Verdi die Verklammerung von fanatischem Religions-Fundamentalismus und weltlicher Macht aufzeigte, und die Parallelität von Paradies-Beschwörung und bestialisch mordender Menschenverachtung anprangerte, wird bei Joosten abstrahiert und damit bekömmlich gemildert.

Musikalisch tönt es aus dem Graben oft pauschal: "Don Carlo" ist überall sonst Chefsache, hier ermutigt Gastdirigent Andriy Yurkevych die Düsseldorfer Symphoniker zu flotten, pulsierenden Tempi. Schöne Soli lassen aufhorchen, aber insgesamt müsste Yurkevych manches dämpfen. Zumal der wunderbaren Olesya Golovneva die Rolle der Elisabetta einstweilen noch eine Nummer zu groß ist, und sie anfangs Verdis massiver Orchestrierung in der Mittellage nicht gewachsen ist.

Außerdem schluckt Alfons Flores' Einheitsbühnenbild, das die klotzige Oberflächenstruktur des Palazzo dei Diamanti in Ferrara in einer transparenten Stofftextur nachbildet, viel Klang.

Das stimmliche Ereignis des Abends ist Gianluca Terranovas Carlo: Sein Tenor ist höhensicher, stark in der Attacke, und klingt viril, obwohl Joosten ihn mit nervösen Ticks und psychischer Macke inszeniert. Die Silbermedaille gebührt Ramona Zaharias lodernder Eboli, Laimonas Pautienius singt einen lauteren Posa, Adrian Sâmpetrean einen soliden König Filippo und Sami Luttinen verleiht dem Großinquisitor stimmlich die Unerbittlichkeit des Fanatikers, die ihm die Regie versagt. Großer, fast einhelliger Premierenapplaus, Ovationen für die Sänger.

"Don Carlo" in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln dauert etwa 3 ¼ Stunden, eine Pause. Das Stück ist noch bis zum 2. April an der Rheinoper zu erleben. Kartentelefon: 0211 8925211

(RP)
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