Düsseldorf Björk hat Lieder aus der Zukunft mitgebracht

Düsseldorf · Das neue Album der Isländerin heißt "Utopia". Es gehört zum Besten, was die 52-Jährige veröffentlicht hat.

In diesen Songs hört man gläserne Bienen summen und elektrische Schafe träumen. Es gibt Umgebungsgeräusche, jemand scheint sie auf Pandora aufgenommen zu haben, jenem fantastischen Planeten aus dem Film "Avatar", auf dem Blumen Körper haben und Tiere beseelt sind. Überhaupt ist dieses Album einem Raum gewidmet, einem Platz. Es ist der Platz hinter der Sonne, und sein Name ist "Utopia".

So heißt das neue Album von Björk, und das ist eine umwerfende Veröffentlichung. Björk ist der Popstar der Extreme, es gibt neben ihr und Kate Bush niemanden, der seine künstlerischen Visionen mit solchem Nachdruck verfolgt, mit dieser Unbeirrtheit. Zu Beginn ihrer Solokarriere, nach dem Ende ihrer Band The Sugarcubes, ließ sie sich noch von der Clubszene inspirieren, von der Tanzmusik der Gegenwart. Es ging ihr um Ekstase und Körperlichkeit. Aber irgendwann in den 2000er Jahren ist sie aufgebrochen, sie ist ausgezogen, gleichsam aus sich selbst heraus, um ein anderes Universum zu finden. Nun, mit 52, scheint sie es gefunden zu haben.

Das Faszinierende an Björk ist der Blick, den sie auf ihre Umgebung richtet. So ist es auch auf "Utopia". Sie steht da und staunt, sie ist unsere Korrespondentin, halb Mensch und halb Maschine. Sie berichtet von einem Stern, auf dem bereits das Matriarchat herrscht, das Björk als kommende Lebensform betrachtet. Und passend dazu sind die Songs denn auch weniger Songs als vielmehr Klang-Reportagen aus der Zukunft.

Es klingt, als habe Björk die Texte zunächst zur Gitarre oder mit einem Orchester aufgenommen, die Tonspur dann aber gelöscht und elektronische Signale, Harfen und Flöten aufgespielt. Manchmal wird es ganz ruhig, Björk baut ihre Kompositionen um die Stille herum. Aus diesem Nichts rollen dann allmählich Bässe, die für neue Bewegung sorgen. Danach prasseln die Beats.

Björk singt, als würde sie schweben, es rauscht und zwitschert um sie herum. Der Wind pfeift. Die Isländerin rollt den Buchstaben "R" nicht mehr bloß wie früher, was ja immer sehr sympathisch war. Sie lässt ihn nun über die Lippen rattern. Statt Musik sind da zumeist Sound und Klanginformation. Man könnte nun denken, dass das Ergebnis schroff klingen müsse, dass das Kristalline der Produktion - die in den meisten Stücken das 28 Jahre alte Wunderkind Arca aus Venezuela besorgt hat - kalt klingen könne und hart. Aber das Gegenteil ist der Fall; das ist eine verspielte, fein ziselierte und optimistische Platte.

Der Vorgänger, "Vulnicura" aus dem Jahr 2015, troff noch vor Leid. Björk hatte in jenen Songs die Trennung von ihrem Partner, dem Künstler Matthew Barney verarbeitet. Das neue Album liegt jenseits des Schmerzes, es ist ein Entdecker-Album: Alice im Wunderland, Ausflug hinter die Spiegel.

Zuletzt gab es einige bemerkenswerte Produktionen von Künstlerinnen wie Kelela und FKA Twigs, denen man anmerkt, dass sie beeinflusst sind von der Persona Björks, von ihrer Art, Musik einerseits, aber auch Gesellschaftskritik, Performance und Kostümierung zu etwas Universellem zusammenzufassen. Auf "Utopia" bleibt Björk ihren Schülerinnen einen Schritt voraus. Im Grunde ist das der Soundtrack zum Weltraum-Gleitflug in einen Lichtjahre entfernt gelegenen Kosmos. "Your Past is a loop / Turn it off", singt Björk im letzten Stück dieser fabelhaften Platte.

Sein Titel ist programmatisch: "Future Forever".

(hols)
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