Düsseldorf Uraufführung von Fatma Aydemirs "Ellbogen"

Prekäre Milieus auf die Bühne zu bringen, ist heikel. Sobald die Schauspieler verkleidet und ihr Gehabe unwahr wirken, werden die Figuren vorgeführt, ausgestellt, verraten. Und so fürchtet man sich anfangs ein wenig, als vier Darstellerinnen im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses auf eine Wand aus wuchtigen Lautsprecherboxen klettern und diese billigen Trash-Klamotten tragen und reden wie aufsässige, deutschtürkische Mädchen in der Berliner U-Bahn. Da sieht und hört man nur Klischees.

Doch bald beginnt ein klug verteiltes Rollenspiel. Plötzlich ist eine der jungen Frauen ein schmieriger Kaufhausdetektiv, der die Hauptfigur Hazal beim Klauen erwischt, eine andere steckt sich die Hand in den Hosenbund und gibt Hazals Macho-Bruder, die andere lässt die Schultern sacken und ist der Loser aus der Nachbarschaft, bei dem sich die Clique zum Kiffen trifft. So verteilt Regisseur Jan Gehler die Figuren des Romans "Ellbogen" der Berliner Journalistin Fatma Aydemir raffiniert auf die Darstellerinnen, strebt eben nicht nach zweifelhaftem Realismus, sondern lässt ein Gespinst aus Stimmen, Posen, Lebensgeschichten entstehen; und der Zuschauer gräbt sich immer tiefer in ein soziales Feld, das von einem Gefühl beherrscht ist: Frust.

Hazal und ihre Freundinnen sind in Deutschland geboren, ihre Eltern stammen aus der Türkei; die jungen Frauen wehren sich gegen die Enge daheim und sind dem Dadraußen nicht gewachsen. Denn für den Kampf in der Konkurrenzgesellschaft um Abschlüsse und Jobs sind sie schlecht gerüstet. Sie wissen das, sie sind nicht doof, aber ohnmächtig. Doch sie nennen die anderen "Opfer" und halten zusammen: wenigstens bei den Freundinnen gibt es Anerkennung. Als sie dann aber nicht in einen angesagten Club gelassen werden, entlädt sich die angestaute Aggression - und irgendein Typ muss dran glauben.

Gehler inszeniert das mit präzisen, reduzierten Mitteln, wenn die Mädchen etwa in die Disco ziehen, genügt für den Ortswechsel ein wenig Licht. Allerdings liegt die ganze Last, den Romantext lebendig zu machen, bei den Schauspielerinnen.

Die ergreifen die Chance, führen das Gepose der Mädchen erst vor, schlüpfen aber mehr und mehr in ihre Figuren, wecken Anteil. Vor allem Cennet Rüya Voß verwandelt die zweite Hälfte des Abends in ein ergreifendes Solo, weil sie so ruppig, kindisch sein kann und zugleich so verletzlich - und unendlich einsam.

Mit "Ellbogen" öffnet das Schauspielhaus die Tür in eine soziale Wirklichkeit, die oft analysiert wird, aber selten erlebt. Die Vorlage bedient zwar manches Klischee, gibt aber unsentimentale Einblicke in eine Lebenswelt, die längst Teil von Deutschland geworden ist.

(dok)
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