Antonio Pappano "Unsere italienischen Momente im Leben"

Das Orchester von Santa Cecilia in Rom ist eins der besten der Welt. Jetzt gastiert es in Deutschland - auch in Düsseldorf.

Rom Wir sitzen im Dirigentenzimmer eines berühmten Orchesters: des Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Sein Chef Antonio Pappano hat soeben dirigiert, Italiens Staatspräsident Mattarella war anwesend. Dieser Tage kommt Pappano mit seinen Musikern, die von Kritikern zu den zehn besten Orchestern der Welt gewählt wurden, nach Deutschland - und am 22. Januar nach Düsseldorf. Wir sprachen in Rom mit ihm.

Sir Antonio, I'm very happy . . .

Pappano . . . wollen wir nicht auf Deutsch reden? Ich war doch lange in Ihrem Land!

Oh, ich vergaß. Hier haben Sie ja Wagner einstudiert, und da wird einem diese Sprache vertraut, oder?

Pappano Und ob! Wagners Stabreime sind Deutsch-Unterricht in höchster Verdichtung. Als ich Assistent bei Michael Gielens Frankfurter "Ring" und später bei Daniel Barenboim in Bayreuth war, musste ich genau wissen, was die da singen!

Sie sind Sohn italienischer Eltern, wurden in England geboren, gingen dann in die USA, um wieder nach Europa zurückzukehren. Jetzt sind Sie Chef an Covent Garden, dem großen Londoner Opernhaus, und in Rom. Wo schlägt Ihr Herz? Und in welcher Sprache träumen Sie?

Pappano Mein Herz? Schwer zu sagen. Und ich träume auch nur selten, aber wenn, dann in Englisch. Aber hier in Rom spüre ich meine italienischen Wurzeln.

Welche Musik außer Klassik haben Sie als Kind gehört?

Pappano Earth, Wind & Fire natürlich und T. Rex. Und die Beatles.

Und jetzt?

Pappano Neulich habe ich Chris Martin getroffen. Er hat mich verleitet, mehr von Coldplay zu hören.

Ihr Orchester hatte nicht immer den besten Ruf, es galt als launisch. Jetzt merkt man nichts mehr davon.

pappano Tja, Santa Cecilia war immer eine schlafende Schönheit. Sie konnten, wenn sie wollten. Offenbar ist es mir gelungen, sie zu erwecken.

Wie erweckt man ein italienisches Orchester? Das stelle ich mir als zähe Angelegenheit vor.

Pappano Wir haben Tourneen und neue CDs gemacht, vor allem haben wir diesen neuen, grandiosen Saal. Und wir spielen Oper, obwohl Santa Cecilia kein Opernorchester ist.

Warum Oper?

Pappano Wenn meine Musiker jetzt beispielsweise Verdi spielen, dann merken sie, woher sie kommen. Sie spüren die DNA der Musik, die Kantabilität des Klangs. Das sind unsere italienischen Momente im Leben.

Heute Abend haben Sie gezeigt, dass Ihr Orchester auch anderes kann, etwa Bizet oder Borodin. Ich gestehe, dass ich dessen 2. Sinfonie nicht mag.

Pappano Oh, das ist aber schade für Sie. Ein so ausdrucksvolles Werk! Ich vermute, Sie finden das Thema im ersten Satz etwas penetrant?

Etwas? Total penetrant! Ta-ta-ta-ta-ta-ta-taa-taaaa!

Pappano Okay, das Thema hat etwas Obsessives. Aber es ist ein Symbol für den Kampf russischer Komponisten gegen die Europäisierung. Borodin glaubte, Mutter Russland verteidigen zu müssen.

Aber es klingt wie Helden mit Bart!

Pappano Soll es doch auch. Wir hören tatsächlich russische Geschichte, hören Helden aus alten Zeiten. Ich habe kein Problem mit dieser altmodischen Vision Russlands. Die Wahrheit ist: Es war so. Es war immer Kampf, immer Konflikt.

Im zweiten Satz konnten wir freilich hören, wie exzellent das Orchester besetzt ist. Wie etwa die Hörner die schnellen Repetitionen im zweiten Satz hinkriegten, war sensationell.

Pappano Diese Stelle ist ein Albtraum. Sie haben Recht, das haben die grandios gespielt.

Bald gastieren Sie in Deutschland -und am 22. Januar in der Düsseldorfer Tonhalle, doch mit deutschem Programm: Beethoven und Strauss.

Pappano Ja, aber wir bringen Anne-Sophie Mutter mit. Sie spielt Beethovens Violinkonzert. Mit der musiziere ich übrigens zum ersten Mal.

Freuen Sie sich?

Pappano Sehr. Sie hat das Orchester schon mehrfach gehört und offenbar für würdig befunden.

Herzlichen Glückwunsch. Lustig ist, dass auch die Strauss-Komposition, "Ein Heldenleben", ein verkapptes Violinkonzert ist, das aber der Konzertmeister des Orchesters spielt.

Pappano Ja, sein Violin-Solo stellt die Gefährtin des Helden dar. Es ist eines dieser blendenden Werke Strauss'. Der war ja so begabt im Klang, dass man fast vergisst, dass das Stück eine Geschichte erzählt. Es geht um den Helden auch in seiner Ehe. Da steckt viel Biografisches von Strauss drin.

Das deutsche Fach liegt Ihnen am Herzen, nicht wahr?

Pappano Vielleicht, aber ich habe hier auch tolle Lehrer gehabt. Michael Gielen in seiner Gründlichkeit war hinreißend. Und bei Barenboim habe ich gelernt, wie man eine Partitur liest und was wirklich in den Noten steht - und wie man eine Probe motivierend gestaltet. Letztens war ich bei ihm eingeladen, und wir haben miteinander gefachsimpelt.

Kommt nicht so oft vor, dass Dirigenten untereinander plauschen, oder?

Pappano Nein, und ich vermisse das sehr. In Covent Garden treffe ich andere Kollegen nur, wenn sie auch dort proben. Gern würde ich häufiger mit Dirigenten essen und trinken - um lang über Musik zu reden.

Sie sind ja auch ein erstklassiger Pianist. Letztens haben Sie mit Martha Argerich gespielt, bei Ihrer Aufnahme von Saint-Saëns' "Karneval der Tiere". Da gibt es ja dieses absurde Duett der beiden Esel für zwei Klaviere.

Pappano Soll ich Ihnen etwas verraten? Es war ein Höllenritt für mich. Martha flog am Klavier. Es gab keine Gnade. Und keine Kompromisse.

Sie sind 58 Jahre alt, da haben Sie noch dreißig Jahre am Pult vor sich.

Pappano Hoffentlich. Jedenfalls liebe ich das Dirigieren mehr und mehr. Es dauert ja eine Ewigkeit, bis du als Dirigent etwas kapierst. Mit dem Alter bekommst du mehr Erfahrungen, alles wird einfacher. Warum soll man dann mit 65 aufhören?

Wichtig ist, dass auch der Körper mitmacht. Von älteren Dirigenten hört man immer, dass es zwickt. Andererseits gilt Dirigieren als gesund.

Pappano Sie haben recht. Oben herum bin ich Superman. Das Problem sind die Beine. Wenn ich immer nur stehe, können sie wie Wackersteine werden. Ich muss da etwas tun. Vor allem mehr walken.

WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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