Düsseldorf Und noch mehr deutsch

Düsseldorf · Enorm war die Resonanz auf unsere 100 Begriffe, die Deutschland beschreiben sollten. Jetzt haben auch die Leser das Wort.

Das hätten wir uns ja denken können. Ach was: Wir hätten es uns denken müssen, dass die Leser schnell und wortreich unsere 100 Schlagwörter ergänzen, mit denen wir am Samstag eine Frage etwas enger zu umkreisen suchten: Was ist typisch deutsch? Ein Spiel war es, dass unsere Leser mit- und weiterspielten. Die 100 neuen Begriffe auf dieser Seite sind wiederum nur eine Auswahl aus weit über 200 E-Mails, die uns in den vergangenen zwei Tagen erreichten. Schon waren wir versucht, die neue Liste "1000 Mal deutsch" zu nennen. Das aber erschien uns nicht nur übertrieben, sondern politisch heikel. Assoziationen mit dem sogenannten 1000-jährigen Reich wären denkbar.

So ganz spielerisch ist das Schlagworte-Suchen nie. 100 Begriffe aber machen die Typisierung des vermeintlich Deutschseins differenzierter; und die 200 stricken das Netz noch feinmaschiger. Mit der größeren Zahl unserer Schlagwörter wird die Gefahr unbotmäßiger Pauschalisierung deutlich kleiner.

Typisch deutsch ist übrigens auch ein Begriff, der insgeheim über diesem Wortespiel zu stehen scheint: die Formulierung der Leitkultur - vom Soziologen Bassam Tibi vor knapp 20 Jahren erfunden und vom CDU-Politiker Friedrich Merz bald darauf popularisiert. Ursprünglich sollte es nur eine Art Sammelbegriff unseres Wertekonsens' sein; doch schnell wurde deutlich, dass die Debatte über unsere Leitkultur auch Ausdruck eines unsicheren nationalen Selbstverständnisses ist.

Auf die politische Tagesordnung kam die Leitkultur wieder mit dem Problem anhaltender Zuwanderung und der Integration vieler Flüchtlinge. Das Spannende dabei ist, dass die Frage nach dem Deutschen diesmal in zwei Richtungen gestellt wird: nach außen - an jene gerichtet, die sich ihr anzunehmen haben, sowie nach innen, an die vermeintlichen Träger einer solchen Kultur. Denn wer gegenüber anderen von deutscher Kultur und Identität spricht, muss natürlich wissen und erklären können, was er darunter versteht. Es geht dabei sowohl ums Deutsch-Sein als auch ums Deutsch-Werden.

Reicht es dafür, das Grundgesetz als Wertekanon ins Arabische zu übertragen und massenhaft an Flüchtlinge zu verteilen? Mehr als gut gemeint ist dieser Vorschlag nicht. Das Grundgesetz ist für Deutsche in deutscher Sprache verfasst worden. Kein Artikel darin ist voraussetzungslos. Allein der erste, der die Unantastbarkeit menschlicher Würde postuliert, gründet in der abendländischen Aufklärung und bliebe ohne diese phrasenhaft.

Die deutsche Gesellschaft ist aber nicht nur vielfältiger geworden, so die Berliner Integrationsforscherin Naika Foroutan, sondern auch hybrider, vermischter und unbestimmter. Im Unbehagen, das sich dann manchmal einstellt, kommt eine Sehnsucht zum Ausdruck: nach der kulturell homogenen Gesellschaft, die übersichtlich ist und wertebeständig.

Natürlich gibt es keine Patentrezepte, aber es gibt kluge Leute, und manche von ihnen schreiben kluge Bücher, wie zuletzt das Ehepaar Marina und Herfried Münkler. Sie belassen es in ihrem jüngsten Buch bei wenigen Merkmalen, mit denen sie ein mögliches Deutsch-sein beschreiben. Irritierende und zunächst überraschende Eigenschaften sind das, die sich lohnen, bedacht zu werden. Danach soll als ein Deutscher verstanden werden, der für sich und seine Familie durch Arbeit selbst sorgen kann und nur in Not- und Ausnahmefällen auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft angewiesen ist. Wobei neben der Selbstsorge der Leistungswille hinzukommt, also die Bereitschaft, durch eigene Anstrengung einen gewissen sozialen Aufstieg zu erreichen. Wichtig ist nach Münkler zudem die Überzeugung, dass religiöser Glaube eine Privatangelegenheit und die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform samt der Wahl des Lebenspartners nicht von der Familie vorgegeben wird. Schließlich: das Bekenntnis zum Grundgesetz.

Eine Diskussion darüber geht uns alle an. Wie es auch die vielen Zuschriften unserer Leser zeigen.

(los)
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