Eine Frage Des Stils Trinkgeld als größtmögliches Kellner-Lob

Ist es okay, in Restaurants oder Kneipen kein Trinkgeld zu geben, wenn man mit der Servicekraft nicht zufrieden war? Nicht nur okay, sondern sogar folgerichtig.

Unverschämt, unfreundlich, maximal uncharmant - all das war der mittelalte Kellner, der kürzlich Wein und Pasta an den Tisch brachte und ganz offensichtlich keine Lust hatte. Auf den Beruf, das Leben, auf diesen Abend, das gute Wetter oder die beiden Frauen an diesem Tisch, wer weiß das schon. Weil der Zahlenden der beiden Frauen das Wie-Rotz-am-Ärmel-behandelt-werden furchtbar auf die Nerven ging, gab sie bewusst kein Trinkgeld. Nicht nur ein kleines bisschen, sondern exakt gar keins. Der Keller guckte noch karierter als den ganzen Abend ohnehin schon. Und die Zahlerin fragte sich: Ist es überhaupt in Ordnung, in Restaurants oder Kneipen kein Trinkgeld zu geben?

Rechtlich ist die Lage klar. Ja, kein "Tip" zu geben, ist völlig in Ordnung. Laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ist in Deutschland Trinkgeld immer ein Dankeschön für guten Service, Bediengelder seien hierzulande im Preis enthalten. In den USA beispielsweise funktioniert das anders: Mindestens 15 Prozent Trinkgeld sind dort auch dann Pflicht, wenn der Service jämmerlich hundsmiserabel war. Der Grund dafür: Kellner und Co. bekommen pro Stunde im Schnitt nur rund 2,13 Dollar, leben also fast vollständig von ihrem Trinkgeld. Für Deutsche, die nach Amerika reisen, ist es fast schon eine Wissenschaft, die richtige Menge an Trinkgeld zu geben - einfach, weil es bei uns so ganz anders läuft.

Und dass es hier so ganz anders läuft, ist gut. Denn das Tolle an unserem Trinkgeld-System ist gerade die Freiwilligkeit. Geben wird schließlich erst dann richtig besonders, wenn es kein Muss ist, sondern aus freien Stücken geschieht. Wenn wir der Servicekraft am Ende eines Abends also ein gutes Trinkgeld geben, tun wir das nicht aus Pflichtgefühl oder weil es in irgendeinem Gesetz so vorgesehen ist, sondern weil da jemand freundlich war, weil er genau auf unsere Bedürfnisse geschaut hat. Und weil er uns dadurch das Gefühl gegeben hat, willkommen zu sein an diesem Ort und zu dieser Zeit. Und ein größeres Lob kann ein Gast ja gar nicht aussprechen.

Wenn aber all das nicht der Fall ist, wenn der Kellner also eher daherkommt wie der eingangs beschriebene, ist es nur folgerichtig, ihm kein oder nur sehr, sehr wenig Trinkgeld zu geben. Mit dem karierten Blick der Servicekraft muss man dann einfach leben - oder noch besser: ihr sagen, warum es in diesem speziellen Fall mal kein Trinkgeld gegeben hat.

Weitere Fragen und Anregungen unter "Eine Frage des Stils" können per Mail an kultur@rheinische-post.de geschickt werden.

(RP)
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