"The Man in the High Castle" Als Hitler den Krieg gewann

New York · Die Fernsehserie "The Man in the High Castle" zeigt New York und Berlin unterm Hakenkreuz. Nun ist die zweite Staffel erschienen.

Die zweite Staffel beginnt in New York an einer High School: gelber Schulbus, Sonnenschein, Jungen und Mädchen, die die Hausaufgaben abschreiben oder sich schmachtende Blicke zuwerfen. Dann der Eid im Klassenzimmer: auf das Reich und den Führer ein dreifaches "Sieg Heil". Die Kamera schwenkt auf die Wand hinterm Lehrerpult, dort hängt ein Porträt Adolf Hitlers neben der US-amerikanischen Flagge: Stars and Stripes ohne Stars. Die Sterne sind durchs Hakenkreuz ersetzt.

"The Man in the High Castle" heißt die Fernsehserie, in der diese Szene nun zu sehen ist. Soeben ist die zweite Staffel auf Deutsch erschienen, produziert wurde sie unter anderem von Star-Regisseur Ridley Scott. Die Serie, die in der Online-Videothek des Versandhändlers Amazon abrufbar ist, spielt ein anderes Ende der Geschichte durch, sie folgt der ungeheuerlichen Versuchsanordnung "Was wäre, wenn". Was wäre, wenn die Alliierten den Zweiten Weltkrieg verloren hätten, wenn die Deutschen und ihre japanischen Verbündeten in Nordamerika einmarschiert wären und die USA untereinander aufgeteilt hätten? Wenn die Westküste von Japan besetzt und der Rest - von der Ostküste bis zu den Rocky Mountains - Teil des "Greater Nazi Reich", des Großdeutschen Reichs, wäre? Es ist eine Art kontrafaktische Geschichtsschreibung in der postfaktischen Gegenwart.

In "The Man in the High Castle" ist der bunte, Reklame-leuchtende Times Square, also das Zentrum New Yorks, mit dem Hakenkreuz-Banner beflaggt, und am East River, wo heute der Hauptsitz der Vereinten Nationen ist, steht ein teutonischer Nazi-Block, und Berlin ist die Hauptstadt der Welt. Einmal fliegt die Kamera über Albert Speers "Germania", das in der Serie Wirklichkeit geworden ist. Es geht über den Tiergarten zur Siegessäule Richtung "Große Halle", den größenwahnsinnigen Kuppelbau, den Hitlers sogenannter Generalbauinspektor Speer für Berlin entwarf. Washington indes liegt in Trümmern, zerstört von einer Atombombe, wie man erfährt, das neue Zentrum der Besatzer ist New York. Die Serie beruht auf Philip K. Dicks Roman "Das Orakel vom Berge", aber es ist gar nicht mal so sehr die Neuordnung der Welt, sondern das vermeintlich Gewöhnliche, das einen aus der Ruhe bringt.

Denn die Macher stören unsere Sehgewohnheiten, sie haben Alltägliches neu codiert: zum Beispiel diese High School, die aussieht wie Schulen in US-Fernsehproduktionen nun einmal aussehen, aber die hier nach dem deutsch-amerikanischen Nazi Fritz Julius Kuhn benannt ist. In den ebenfalls bekannten Einfamilienhaus-Vorstädten grüßen sich die Nachbarn derweil lächelnd mit Hitlergruß. Und im Fernsehen läuft eine Polizei-Sendung, die es so überall geben könnte, nur heißt sie "Reich Patrol". In San Francisco ist unterdessen Aikido zum Volkssport avanciert. Die Serie spielt Anfang der 1960er Jahre, als die Popkultur ihre ersten Blüten trug. Deren Musik aber ist allenfalls im Piratenradio zu empfangen. Ein Exemplar von Mark Twains "Huckleberry Finn" ist ebenfalls nur auf dem Schwarzmarkt zu erhalten.

"The Man in the High Castle" ist eine hervorragend ausgestattete Kostüm-Serie mit Armbinden und Stiefelhosen. Darüber wurde aber eine ausführliche Figurenzeichnung vergessen. Die Charaktere bleiben oberflächlich, die Handlung verworren: Natürlich regt sich im geteilten Land Widerstand gegen die Besatzer. Ein Unbekannter bringt Filme unters Volk, die eine andere Wirklichkeit zeigen - auch ein befreites Land. Ein Westküsten-Paar, das zufällig an einen solchen Film gelangt, stolpert schließlich in die Arme der Resistance, und der Nazi-Führungszirkel möchte sich des an Parkinson erkrankten Adolf Hitler entledigen. Allein sein Statthalter in New York, den Rufus Sewell als bestialischen Obergruppenführer und als liebenden Familienvater spielt, hält zu ihm. Es ist ein Verwirrspiel mit doppelt und dreifachem Boden, in der zweiten Staffel wird das Durcheinander aus Agenten, Spitzeln und Verrätern - auch unter Freunden und in der Familie - noch größer.

Die Serie sei die Dystopie für unser dystopisches Zeitalter, meinen manche. Das allerdings scheint dann doch etwas zu weit hergeholt. Sie stellt aber die Frage nach der eigenen Courage in Zeiten allgemeiner Verunsicherung. Es lohnt sich darum, das anzusehen.

(kl)
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