Bochum "Tatort"-Kommissar glänzt als Dorfrichter

Bochum · Das Schauspielhaus Bochum spielt Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" Dietmar Bär.

Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" ist eins der beliebtesten Lustspiele an deutschen Bühnen. Befreites Auflachen ist in der klugen Inszenierung in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses jedoch kaum möglich. Intendant Anselm Weber sorgt mit einer geschickten Handlungs-Verschiebung dafür, dass die Zuschauer die Tragweite des Unrechts, das hier geschehen ist, gleich präsent haben. Das erste Wort hat bei ihm nicht der eifrige Gerichtsschreiber Licht, dem Roland Riebeling mit seinem riesigen komödiantischen Talent erst später große Lacher beschert. Es ist Eve, die Tochter der Marthe Rull, die den zerbrochenen Krug beklagen wird.

Sarah Grunert zieht als Eve den zwölften Auftritt vor, in dem sie den Tathergang schildert. In einem unter die Haut gehenden Monolog voller Wut und Ohnmacht und stets den Tränen nah, spielt sie die Stärke dieses Stücks aus: Sie liegt im Erzähltheater, darin, mit Worten Handlungen greifbar, erfahrbar zu machen. In diesem Fall sind es die Zudringlichkeiten des Richters, der seine Macht über das junge Mädchen skrupellos ausspielt und es eines Nachts in einem Lügennetz fängt: Ihr Verlobter werde nicht bloß zum Militärdienst im Inland eingezogen, erklärt er ihr, sondern nach Ost-Indien verschifft, von wo aus kaum einer zurückkehre. Nur er, Adam, könne ihn mit einem Attest davor bewahren. Nur das Auftauchen von Eves Verlobtem Ruprecht kann den Richter in die Flucht schlagen - dabei zerbricht der Krug.

So betrachtet der Zuschauer das Geschehen im Gerichtssaal durch die Brille dieser Vorab-Information. Das wirkt nicht mehr in erster Linie schrullig, wie Richter Adam sich in Widersprüche verstrickt, wenn er erklären soll, warum er von Wunden übersäht ist. Da wird im Gegenteil deutlich, wie Kleist im Kleinen die Möglichkeiten mächtiger Männer aufzeigt, sich dem Zugriff von Recht und Gerechtigkeit zu entwinden.

Mit seinem Bühnenstar, dem "Tatort"-Kommissar Dietmar Bär, hat Weber den perfekten Schauspieler für die Rolle gefunden: Er lässt hinter den Späßen des Richter stets den bösen Willen aufblitzen. Neben ihm brilliert Marco Massafra als Gerichtsrat Walter: Es ist eine reine Freude, zuzuhören, wie er Kleists Sprache seziert und ansprechend auf dem Tablett serviert. Er tritt in Anselm Webers Inszenierung zwar in einen maßgeschneiderten Anzug auf, behält aber keine weiße Weste. Nicht nur Eve zweifelt am Schluss an seiner Aufrichtigkeit, wenn er erklärt, Ruprecht würde wie alle Soldaten nur zum Dienst im Inland einberufen. Und sie empfängt den Kuss nicht von ihrem Verlobten, sondern von Walter - wie eine Todesdrohung in Mafia-Kreisen.

(RP)
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