Düsseldorf Sofortbilder von Wim Wenders

Düsseldorf · Über Jahrzehnte hat Wenders Polaroids gemacht. Eine Auswahl hat er nun in einem Bildband versammelt. Darin erzählt er auch die Geschichten ihrer Entstehung - und von seinen Anfängen als Regisseur.

Düsseldorf: Sofortbilder von Wim Wenders
Foto: Courtesy Wenders Images

Ein junger Mann mit rotem Hemd, gestreifter Hose, Hosenträgern steht vor dem Spiegel. Er bedient einen grauen Apparat mit einfachem Objektiv, klotzigem Blitz. Und obwohl man den gespiegelten Markennamen Polaroid kaum erkennen kann, hat man gleich dieses Spulen im Ohr. Dieses nostalgische Geräusch, wenn sich aus der schmalen Öffnung im Gerät das Bild herausschiebt, in die Wirklichkeit drängt, bereit zur Entwicklung.

In wenigen Minuten wird das Stück Spezialpapier etwas Vergangenes wiedergeben, wird Beleg sein eines unwiederbringlichen Moments. Der junge Mann, der diesen Augenblick vor dem Spiegel erlebt hat, ist Wim Wenders - und sein Polaroid ist das frühe Selfie eines Regisseurs, der auszog, in der Welt Orte für seine Filme zu finden. Doch würde Wenders selbst dieses Foto niemals Selfie nennen. Denn dieser Begriff gehört in die Gegenwart. In eine Zeit, in der alle ständig Selbstbilder von sich fertigen und achtlos in Umlauf bringen als unendlich oft reproduzierbare Schnappschüsse aus ihrem Leben.

Das Polaroid dagegen verlangt, eine Haltung zur Welt einzunehmen, sich für einen Ausschnitt zu entscheiden, auszulösen. Und dann steht das Bild für sich. Es ist so einzigartig wie der Moment, den es festhält. So verkörpert es in seiner analogen Überholtheit eine andere Einstellung zur Fotografie: Sofortbilder verwandeln Augenblicke nicht in digitale Daten. Sie lassen einen Moment Materie werden und schließen diesen Augenblick sofort in sich ein. Denn man kann Polaroids nicht versenden, in Netzwerken teilen, durch Vervielfältigung der Beliebigkeit preisgeben. Die quadratischen Momentaufnahmen mit ihren fahlen Farben, Belichtungsmängeln, Entwicklungsfehlern sind und bleiben Einzelstücke. Sind eingefangene Zeit. Über drei Jahrzehnte hat der Fotograf und Autorenfilmer Wim Wenders solche Polaroids gemacht. Meist hat er darauf Orte festgehalten. Hotelzimmer bei seinen ersten Reisen in die USA, Hochhäuser, Straßenschluchten, Stadtszenen, karge Landschaften. Die Sofortbilder geben Ausblicke wieder, die den jungen Filmemacher beeindruckt haben mögen. Das verleiht ihnen den Ausdruck von Privatheit, als betrachte man die Welt in Bruchstücken mit Wenders' Augen. Er selbst nennt die Fotos in seinem nachdenklichen Einleitungstext einmal "Zeitkapseln von Realität" und traut ihnen zu, wahrhaftiger Beleg für die Existenz der Welt, für ein Zutrauen in die Dinge zu sein. Andere seiner Polaroids sind bei der Motivsuche entstanden, sind Beleg für Wenders atmosphärischen Spürsinn und zeigen, wie Geschichten, deren Niederschlag als Film man heute kennt, ihren Ort fanden.

Im quadratischen Format der Sofortbilder wirken diese Szenen manchmal beiläufig, wie lässig aus der Hüfte geschossen. Dann wieder wie konzentriert ausgewählte Ausschnitte einer Wirklichkeit, die Wenders sich durch den Sucher der Kamera erst erschließen musste. So transportieren diese Polaroids auch den Entdeckergeist eines jungen Künstlers, der sich auf Reisen, nah und fern, nach New York und an die Elbe, ein Bild von der Welt machte. Der Eindrücke und Erfahrungen sammelte, um sie in Filme verwandeln zu können.

Die frühesten Polaroids, die Wenders nun in einem Bildband bei Schirmer/Mosel veröffentlicht, stammen aus den 1960er Jahren. In Zigarrenkisten hat der Künstler die Aufnahmen bewahrt, hat sie nun im Archiv seiner in Düsseldorf gegründeten Wenders-Stiftung gesichtet und ausgewählt. Zugleich ist eine Ausstellung entstanden, die bis Februar in der Photographer's Gallery in London zu sehen ist und danach bei C/O Berlin gezeigt wird. Viele Aufnahmen zeigen die Spuren der Zeit, sind technisch unperfekt und gerade durch diesen Eigensinn kostbar. Zudem erzählt Wenders zu jeder Serie die Geschichte ihrer Entstehung - und das ist oft auch die Entstehungsgeschichte eines Films. So begegnet man den Dreharbeiten zu Werken wie "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", "Alice in den Städten", "Im Lauf der Zeit", "Der amerikanische Freund".

Auch vom Scheitern erzählt Wenders freimütig, wenn er etwa berichtet, wie aus einem Dreh auf den Straßen von San Francisco der Hollywood-Studiofilm "Hammett" wurde, der dann 1982 in die Kinos kam, aber nicht mehr Wenders' Handschrift trug. Auch Weggefährten und berühmte Freunde des Filmemachers tauchen in den Polaroids auf: die junge Senta Berger aus "Der scharlachrote Buchstabe" etwa, Dennis Hopper und natürlich Peter Handke. Leicht arrogant blickt der Dichter durch runde Brillengläser geradewegs in die Kamera. Leider gibt es zu den einzelnen Fotos in dem sorgsam gestalteten Buch keine Legenden. Manche weniger bekannte Person bleibt ohne Namen.

Ein besonderer Moment auf den Reisen mit Wim Wenders ist die Begegnung mit der Fotografin Annie Leibovitz, die damals gerade Fotochefin des "Rolling Stone" war. Wenders lernte sie zufällig in einem Café kennen, unternahm später eine Autofahrt mit ihr von San Francisco nach Los Angeles. Die Fotos, die sie voneinander machten, zeigen im Schuss und Gegenschuss zwei Menschen im regen Austausch unterwegs in einer Welt voller Möglichkeiten. Und diese Möglichkeiten locken, sie schüchtern sie nicht ein.

So zeigt dieser Bildband Ausschnitte aus dem Leben des Ortssuchers und Weltenentdeckers Wim Wenders - im quadratischen Format einer untergegangenen Fototechnik, die auf eigentümliche Weise die Vergangenheit bewahrt.

Das Buch Wim Wenders: "Sofort Bilder - 403 Polaroids und die Geschichten dazu", Schirmer/Mosel, 320 Seiten, 435 Farbabbildungen, 49,80 Euro

(dok)
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