Nationalsozialismus und Faschismus Sie sind wieder da

Zwei neue Biografien widmen sich Adolf Hitler und Benito Mussolini. Peter Longerich zeigt den "Führer" als geschickten, entscheidungsstarken Polit-Verbrecher. Hans Woller wendet sich gegen die verbreitete Verharmlosung des "Duce".

Adolf Hitler ist in der kollektiven deutschen Erinnerung eine Unperson - nicht nur, weil er für das Böse an sich steht, sondern auch, weil er zu einem Prinzip entrückt ist. Adolf Hitler ist einfach Hitler geworden, eine diktatorische Instanz, Vehikel deutscher Heilserwartungen, Inbegriff eines Menschheitsverbrechens. Ein Politiker, der aktiv Entscheidungen traf - und zwar kluge wie falsche -, ein Organisationstalent und Jahrhundertpropagandist ist er für viele nicht mehr. Zu viel der Ehre.

In diese Lücke stößt der 1955 in Krefeld geborene und in London lehrende Historiker Peter Longerich mit seiner neuen Biografie. Sein Hitler ist nicht der Guru der Massen wie bei Joachim Fest, nicht die Resonanzfläche radikaler Untergebener wie bei Ian Kershaw, schon gar nicht der "schwache Diktator" wie bei Hans Mommsen. Longerichs Hitler ist bis fast zum Schluss Herr des Geschehens und Gebieter über das komplexe totalitäre Geschehen.

Wie in seiner Goebbels-Biografie 2010 setzt Longerich auf psychologische Ansätze. Er attestiert Hitler "emotionale Unterentwicklung" und einen "Mangel an Empathie und Privatheit, der durch die Konstruktion eines ,öffentlichen Selbst' kompensiert wurde". Hitler habe unter "übersteigerter Angst vor Kontrollverlust" und "übergroßer Furcht vor Beschämung" gelitten.

Im Politischen nutzt Hitler nach Longerichs Deutung konsequent seine Möglichkeiten - im Untergang der Weimarer Republik ebenso wie in der Eskalation der Judenverfolgung. Hitler, betont Longerich, sei etwa in seiner Kriegsvorbereitung "keineswegs durch die Ereignisse fortgerissen" worden, sondern habe Ziele, Mittel und Tempo kontrolliert. Das führt zu Attribut-Häufungen, die man als Lobhudelei missverstehen könnte; auf einer halben Seite fallen Wörter wie "starke Präsenz", "effizient", "überraschend", "Flexibilität", "unberechenbar", "effektvoll", "spektakulär". So hätte sich Hitler zweifellos auch gern selbst gesehen. Es bleibt aber wahr, was Sebastian Haffner schon 1978 schrieb: Man wird Hitler nicht gerecht, wenn man nicht auch über seine Leistungsbilanz schreibt (die verbrecherischen Zielen diente - aber Hitler erreichte eben viele dieser Ziele).

Ab 1939 kam Hitler, da stimmt Longerich mit den meisten Kollegen überein, ganz zu sich: "Der Zweite Weltkrieg war Hitlers Krieg", ein rassistischer Vernichtungskampf um Lebensraum. Hitler habe nun seine ideologischen Ziele aus den 20er Jahren umgesetzt. Selbst der Massenmörder aber setzte den Massenmord noch als politisches Mittel ein: Longerich zeigt, wie die NS-Führung im Herbst 1941 ihr ganzes Kriegskonzept auf die Vernichtung der Juden umstellte - als Signal nach außen und aus "Sicherheitsgründen", um in den besetzten Gebieten Ruhe zu schaffen. Aus NS-Sicht waren Juden, Kommunisten und Widerstandskämpfer ebenso Kriegsfeinde wie die gegnerischen Armeen.

Während es also bei Hitler vor allem um neue Ansätze der Deutung geht, sind bei seinem italienischen Verbündeten Benito Mussolini ganz andere Lücken zu schließen - solche des Wissens ebenso wie der systematischen Unterschätzung. Der Münchner Historiker Hans Woller, ein ausgewiesener Italien-Spezialist, unternimmt das. Er geht ausgiebig mit der mangelhaften Aufarbeitung des Faschismus in Italien und mit seiner politischen Instrumentalisierung noch durch Silvio Berlusconi ins Gericht - der "Duce" ist in Italien heute eine Art seltsamer, gewalttätiger Onkel, aber irgendwie (und im Vergleich zu Hitler erst recht) auch nicht so schlimm und deshalb immer für eine Anekdote und für kommerzielle Ausschlachtung gut. Woller sieht ein grundlegendes Versäumnis: "Ein umfassendes Gerichtsverfahren, ein italienisches ,Nürnberg', hätte die Wissenslücken über Mussolini schließen und seinen Mythos vielleicht dauerhaft zersetzen können."

Das ist nicht passiert; Mussolini ist sozusagen Hitlers Gegenstück geworden: zu viel Mensch, zu wenig Prinzip. Mussolini aber war ein skrupelloser Gewaltmensch, Imperialist, Rassist und Antisemit. Der italienische Faschismus entwickelte seine Judenfeindschaft unabhängig von den Nazis, und seinen Rassismus lebte er in den afrikanischen Kolonien aus. Kein Anlass also, folgt man Woller (wofür es gute Gründe gibt), den Faschismus als Operettendiktatur zu verharmlosen, auch wenn Mussolinis lachhaftes Auftreten dazu ebenso verleitet wie etwa die katastrophale militärische Bilanz Italiens im Zweiten Weltkrieg.

Woller nennt Mussolini "Hitlers älteren, aber kleineren Bruder". Sein Buch ist der kleine, essayistische Bruder der Longerich-Biografie und schon wegen des Umfangs deutlich leichter konsumierbar. Lesenswert aber sind beide Werke.

(fvo)
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