Hamburg Schleswig-Holsteins Musikfest brummt wie nie

Hamburg · Ausflüge auf Landgüter und in andere Genres: In seinem 30. Jahr muss sich das ehemalige Justus-Frantz-Festival neu erfinden.

"Das Gewitter - auf diese Stimmung habe ich gewartet." Klaus Maria Brandauer hebt gekonnt die gebrochene Stimme, sein Blick schweift durch die von Stahlträgern durchzogene Weite der Nordart-Ausstellungshalle in Rendsburg-Büdelsdorf. Gespannt lauschen die 1400 Besucher.

Nein, kein Donnergrollen tönt von draußen - stattdessen gibt es reichlich sonnig-heitere Worte an diesem Sommernachmittag, schließlich feiert das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) sein 30-jähriges Jubiläum. Was nicht nur reichlich lokale Prominenz im Publikum bedeutet, sondern eben auch den Weltstar auf der Bühne mit sich bringt, der zwischen Haydns "Jahreszeiten" in die Rolle des Komponisten schlüpft und aus dessen Briefen rezitiert. Auf jeden Fall herrscht derzeit sonnige Stimmung, schließlich stimmen 2016 nicht nur die Zahlen mit mehr als 150.000 verkauften Karten und rund 100 ausverkauften unter den 181 Konzerten.

Allein: Sind gute Zahlen wirklich genug? Braucht es nicht auch neue Ideen jenseits musikalisch zwar hochrangiger, aber eben so ähnlich auch übers Jahr stattfindender Konzerte wie des Auftritts des NDR- Chors in der Hamburger St. Jacobi-Kirche? Oder programmatisch kunterbunter Musikfeste auf dem Gut Stockseehof, wo neben Mendelssohn Landfeinkost wie Whiskey-Senf geboten und zu Prokofjews "Romeo und Julia" der Festivalteller "Alles Käse" serviert wird? Intendant Christian Kuhnt lassen solche Spitzen kalt: "Die Idee zieht noch immer und will jedes Jahr neu mit Leben gefüllt werden", sagt der Festival-Chef. "Mir ist es wichtig, noch weiter in die Fläche zu gehen und nach neuen Orten zu suchen."

Doch reicht das für die (Weiter-) Entwicklung? Sebastian Nordmann ist da skeptisch: "Die Idee 'Musik auf dem Lande' wird nicht ewig tragen", prophezeit der Festival-Kenner, der einst seine Promotion über den "Einfluss des Schleswig-Holstein Musik Festivals auf die Musiklandschaft Schleswig-Holstein" schrieb. Selbst lange Jahre an der Spitze der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, fordert der heutige Intendant des Berliner Konzerthauses: "Festivals müssen sich weiterentwickeln - etwa mit einer Carte Blanche wie früher an den Königshöfen: Heute sind wir die Ermöglicher der neuen Ideen der Musiker."

In Schleswig-Holstein hat Christian Kuhnt solch eine Idee umgesetzt mit einem jährlich wechselnden Porträtkünstler: Zehn verschiedene Projekte hat András Schiff für die sieben Wochen dieses Festivalsommers konzipiert. Nicht jedes ein Glücksgriff - wie sein Auftritt mit dem Salzburger Marionettentheater, wo die fein gesetzten Schumann- und Debussy-Zyklen des Pianisten zur schlichten Begleitmusik der fantasiearmen Puppenspieler verkommen; doch künstlerisches Scheitern muss eben auch möglich sein.

Zumal die Richtung stimmt: Vorbei sind nämlich die Zeiten, als das Musikfest sich auf dem Status als "First Mover" ausruhen konnte, während sich die Nachahmer überall in der Republik über den Sommerfestival-Hype hinaus um programmatische Ideen bemühten. Das hat auch Kuhnt erkannt, setzt neben dem Künstlerporträt allsommerlich einen Komponistenschwerpunkt - 2016 Haydn - und auf das "Luustern" (plattdeutsch für 'lauschen') in andere Genres. Frankreichs Superstar Zaz findet sich ebenso im Programm wie Portugals Fado-Königin Mariza, Entertainer Tom Gaebel wie die Abba-Erben The Real Group oder Songwriterin Sophie Hunger. "Es geht um unsere Arbeit als Veranstalter und weniger um unser Image über den Norden hinaus", verteidigt der 49-Jährige sein Potpourri am Rande der Beliebigkeit.

(RP)
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