Düsseldorf Romeo und Julia - jung und liebestoll

Düsseldorf · Bernadette Sonnenbichler baut Shakespeares Drama um für das Düsseldorfer Schauspielhaus.

Es kommt anders als erwartet: die Sprache, die Szenenfolge, der Schluss, die Moral. Es gibt auch keinen Balkon. Man hat das Gefühl, die junge Regisseurin Bernadette Sonnenbichler hat "Romeo und Julia" einmal auseinandergeschnitten und dann neu zusammengesetzt. Sie hat die Liebe und den Hass als Aktionsblöcke massiv ausgestellt, das Ganze mit feinen minimalistischen Sounds angereichert, saloppe Wörter und Sätze in die Neufassung hineingeschmuggelt wie auch Zoten.

Die Versuchung ist groß. Welcher Regisseur mag nicht Shakespeares Klassiker neu erfinden? In die Düsseldorfer Version, die jetzt Premiere hatte, ist der Zeitgeist eingeflossen - im besten Sinne. Haben sich Julia und Romeo jemals so oft, so lange und hingebungsvoll auf der Bühne küssen dürfen? Diese Fassung ist jung gedacht und von sehr jungen Schauspielern überzeugend dargeboten. Sie wird mit dem liebestollen Spiel vor allem junge Leute ansprechen und sicherlich berühren.

Auf der Bühne des Central ist eine düstere starre Szenerie aufgebaut, hohe Gerüste gibt es statt Mauern. In diesem Verona (Bühne: David Hohmann) wird es niemals hell, es scheint kein goldenes Licht, die Kleider der Veroneser sind unbunt.

Nicht nur die Pest bedroht die Stadt. Im Verona des späten 16. Jahrhunderts macht die Verfeindung zweier Familien die Beziehung über die Grenzen hinweg unmöglich. Doch Romeo und Julia finden in einem einzigen, wahren Moment zusammen. Ihre Liebe ist rein und absolut, sie währt über den Tod hinaus. "Aus nichts wird alles, und dann ist es was", sagt Julia, die sich gleich zu Beginn eine Plastiktüte über den Kopf zieht. Will sie, ihr Schicksal ahnend, schon sterben? Anders als bei Shakespeare geht der Streit im Staat nie zu Ende, die Drohungen und das Wutgeheul bilden ein lautes Schluss-Crescendo. Die Liebenden aber erheben sich vom Totenbett - inniglich umschlungen.

In dieser Rahmenhandlung spielen sich die Schauspieler ganz aus und nach vorne in die Herzen. Dieser unglaublich wahrhaftige Romeo (Stefan Gorski), der tief in seine Seele blicken lässt. Lou Strenger als Julia ist wie er noch jung im Bühnengeschäft, wie er von zwingender Nähe und gesegnet mit großem darstellerischem Talent. Allein dieses ungekünstelte Spiel beschert Freude über das Theatererlebnis.

Überhaupt folgt das Ensemble in jedem Moment der Regie-Idee: der schräge Benvolio (Alexej Lochmann), der schöne Mercutio (Andrei Viorel Tacu), der aggressive Tybalt (Kilian Land), der smarte Paris (Caner Sunar), Julias kaltherzige Mutter (Claudia Hübbecker), ihr despotischer Vater (Lutz Wessel), der gnädige Lorenzo (Konstantin Lindhorst) und die in roter Pumuckel-Perücke heftig aufdrehende Amme von Karin Pfammatter.

Sonnenbichler setzt zum innigen Spiel starke Botschaften in den Raum, lässt Julia tanzen und die Feindseligkeiten der Clans bis zum Fechtkampf choreografieren. Auf Folie steht zu lesen "The ego must be developed". Man denkt an heute, an die Verheißung der mutmaßlichen Kraft von Selbstoptimierung. Es gibt längst keine Pest mehr bei uns, aber todbringende Plastiktüten. Hunderte wirbeln durch die Schlussszene. Ein apokalyptisches Bild. Und dann: verdienter Applaus nach dreieinviertel Stunden.

(RP)
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