Düsseldorf Roger Waters nimmt Abschied von "The Wall"

Düsseldorf · Der Mitbegründer von Pink Floyd gab ein großartiges Konzert in Düsseldorf. Die Show übertraf den Auftritt von 2011 um Längen.

Kurz vor Schluss schwebte das Schwein tatsächlich durch die Esprit-Arena, und die 35 000 Fans in der Halle sahen rasch, dass Roger Waters nicht auf das Symbol verzichtet hatte: Auf der Haut des aufblasbaren Tiers klebte ein Davidstern, zudem ein Kruzifix, der islamische Halbmond, Hammer und Sichel sowie die Logos der Firmen Mercedes und Shell. Die jüdische Gemeinde hatte sich vor der Aufführung der Rockoper "The Wall" heftig gegen die unselige Verbindung von Schwein und Davidstern gewehrt, doch Waters blieb hart. Der Stern stehe in seinen Augen für den Staat Israel, argumentierte er, und gegen dessen Palästinapolitik wolle er protestieren.

Der Mitbegründer der britischen Rockband Pink Floyd gehört zur Oberliga der Angry Old Men, er macht keinen Unterschied zwischen Botschaft und Boshaftigkeit, seine intellektuelle Zerquältheit ist legendär. Natürlich ist der Vorwurf, Waters' Inszenierung sei antisemitisch, Unsinn. Vielmehr vermisst man bei Waters das Feingefühl für historische Zusammenhänge, den Anstand auch – und eigentlich ist er zu alt für so viel Verbissenheit. Ein Skandal ist das nicht, eine massive Geschmacklosigkeit allemal. Dabei hätte ein Verzicht auf das Symbol, das so viele Menschen beschämt, die Aussage von "The Wall" nicht verwässert, die Geste hätte sogar besser zu diesem Abend gepasst – denn der Auftritt war mit Ausnahme des Agitprop-Misstons großartig.

Waters hat das Prinzip des Noch-und-Nöcher zu seiner Kunstsparte gemacht, so gesehen ist "The Wall", dieses Agitationsvehikel gegen alles Mögliche, sein Meisterwerk. Waters erzählt auf dem Doppelalbum, das er den Bandkameraden einst aufzwang, seine eigene Geschichte: Ein Teenager namens Pink wächst ohne den im Krieg gefallenen Vater auf. Er leidet unter der überfürsorglichen Mutter und autoritären Lehrern, und er steigert sich in Wahnvorstellungen mit totalitären Bildern. Er errichtet eine Mauer zwischen sich und der Welt, sie wächst, bis Pink verschwindet.

Die Pappmauer, die in Düsseldorf als Prospekt für die neuen Leiden des jungen Pink diente, wucherte über 150 Meter bis in die Zuschauerränge. Und im Gegensatz zur Show vor zwei Jahren am selben Ort räumte Waters die Leinwand auf. Die Illustrationen von Gerald Scarfe wurden eingemottet, die Film-Einspieler waren ruhiger komponiert und eingängiger, dadurch geriet der Abend weniger fahrig und wirkte nicht ganz so propagandistisch überladen in dem Bestreben, vor Krieg und Autoritäten zu warnen.

Vor allem der erste Teil war eindrucksvoll. Während auf der gewaltigen Leinwand über der Mauer ein Porträt von Waters' Vater in Uniform zu sehen war, erklangen die ersten Takte von "The Wall". Ein Suchscheinwerfer huschte über die Köpfe des Publikums, man hörte einen Helikopter, ein Kampfjet raste durch die Halle. Waters machte die Paranoia nachvollziehbar, aus der Pink nicht mehr herausfindet.

Der Sound der Show war phänomenal, auch das ein Vorteil gegenüber der Aufführung von 2011. Zum Gelingen trug zudem das hingebungsvolle Publikum bei. Vielen Nachgeborenen erschließt sich die Güte des "The Wall"-Albums von 1979 nur mit Mühe – gerade im Vergleich zu "Dark Side Of The Moon" und "Wish You Were Here": überladen, zu lang, viel Füllwerk. Aber wer hier saß, mochte keine Note missen, die meisten dachten an früher, sie wuchsen mit der 25 Millionen mal verkauften LP auf, das ist ein Generationenwerk, die Welt-Nationaloper des Rock. Wie bei alten Statuen haben Küssen und Streicheln die Bronze in glänzendes Gold verwandelt. Am Bierstand konnte man Dialoge hören, in denen es um die "Wall"-Show 1981 in Dortmund ging: "Hast du die Eintrittskarte noch?" – "Was denkst du denn?"

Waters' Verhalten gegenüber seiner früheren Band gilt als Musterbeispiel für das, was Psychologen "hedonistische Verzerrung" nennen. Doch in Düsseldorf meinte man den Menschen Waters zu erkennen, der hinter dem Thesenautomat hervortrat. Als das Publikum "Happy Birthday" zu Waters 70. Geburtstag anstimmte, kreuzte der Geehrte die Arme vor der Brust, war offensichtlich berührt, bedankte sich. Der Höhepunkt war dann das neue Lied, das Waters im Anschluss an den Hit "Another Brick In The Wall pt. II" präsentierte: ein Song für Jean Charles de Menezes. Der junge Brasilianer wurde 2005 von Fahndern in der Londoner U-Bahn mit einem Terrorverdächtigen verwechselt und erschossen. Waters stand in schwarzem T-Shirt vor der unbefleckten Mauer. Die siebenköpfige Band blieb stumm, zur Gitarre sang er die feine Ballade, ein rot gefärbter Spot war auf ihn gerichtet. "The Wall" läuft ja gerade im zweiten Teil Gefahr, im Bombast zu ersticken, da wird krampfhaft versucht, die komplexer gewordene Welt zu ordnen, Gut und Böse zu unterscheiden, da werden Zweiter Weltkrieg, 11. September und Einmarsch in den Irak gleichgesetzt. Aber an dieser Stelle vertraute Waters auf die Kraft seiner Kunst, er besann sich auf sein Genie, und das ist das Songwriting, das Komponieren; er sprach nun Herzen an und nicht bloß Köpfe. Man verstand, warum die Popularität von Pink Floyd nahezu ungebrochen ist, warum sich "Dark Side Of The Moon" noch immer 200 000 Mal pro Jahr verkauft und warum Waters 2012 mit 88 Millionen Dollar der am zweitbesten verdienende Musiker der Welt war.

Nach der Pause marschierten dann die berühmten Hämmer im Gleichschritt über die Leinwand. Waters stand im Ledermantel vor der Mauer, reckte die Faust, und die Inszenierung lag irgendwo zwischen Sonderparteitag in Nordkorea und Eingewöhnungsabend bei der Endzeit-Sekte. Doch mittendrin brachte Waters eine wunderbar feingliedrige Version von "Comfortably Numb" und ein atemraubendes "Run Like Hell". Bald flog dann das Schwein, das eigentlich ein Eber ist und also die zähnefletschende Version jenes Tiers, das seit 1977 bei Pink Floyd Verwendung findet – seit dem Album "Animals". Das Publikum war zu diesem Zeitpunkt in Hochstimmung, es wollte genießen, denn es hatte erkannt, dass da ein Kapitel der gemeinsamen Biografie beendet wurde: Waters will "The Wall" nach dem letzten Konzert am 21. September in Paris ja nicht mehr aufführen lassen. Wie bei vielen Auftritten zuvor wurde das Schwein schließlich auf die Zuschauerränge gesenkt, wo ihm die Luft ausging.

Von Zuneigung erstickt. Besser hätte es nicht enden können.

(RP)
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