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Ausstellung Richters Requiem

Nach der Vorlage von Fotodokumenten aus dem Vernichtungslager Birkenau malte der Kölner Künstler Gerhard Richter eine Serie von vier abstrakten Bildern. "Birkenau" heißt sie und ist jetzt im Burda-Museum von Baden-Baden ausgestellt.

Es ist keine Kunst. Es sind Zeugnisse größter Grausamkeit: Vier düstere Aufnahmen aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau hängen an der weißen Wand im Museumskubus von Frieder Burda, in dem Gerhard Richter seine Birkenau-Bilder zeigt. Heute finden sie jene große Beachtung, die sie damals nicht erhielten.

1944, im August, schoss ein KZ-Häftling diese Fotos unter Gefährdung seines Lebens, ein zweiter Gefangener behielt die Wachmänner der SS im Auge. Beide gehörten zu einem sogenannten Sonderkommando, einer isolierten Einheit von Häftlingen, deren Aufgabe es war, die Exekutionen vorzubereiten, die Leichen anschließend auszuplündern und zu verbrennen. Sie hatten das fotografiert, was sie tagtäglich zu tun hatten. Ihre Bilder waren ein Schrei, den niemand hörte.

In einer Zahnpastatube wurde der Film aus dem Lager geschmuggelt und Mitgliedern des polnischen Widerstandes übergeben. Ein Zettel war dabei, worauf zu lesen stand: "Wir senden Photos von Birkenau, die Gefangene auf dem Weg in die Gaskammern zeigen. Eine Photographie zeigt einen Scheiterhaufen im Freien, wo man die Leichen verbrennt."

Tatsächlich darf man diese Fotografien nur deshalb an eine Museumswand und in diese Ausstellung hängen, weil sie Anlass sind für Richters Bild von Birkenau. Weil er die Fotografien auf weiße Leinwände übertragen hat, um sodann Schritt für Schritt neue Schichten aufzubringen. Am 3. August 2014 -drei Wochen also nach Aufnahme der Arbeit an "Birkenau" - fügte der Maler Braun, Grau und Schwarz hinzu.

Schon am darauffolgenden Tag begann er mit dem Rakel zu schaben. Am 13. August übermalte er die Bilder mit Rot, einen Tag später mit Grün. Am 25. August erhielt das aus vier Einzelbildern zusammengesetzte Werk seine finale schwarz-graue Schicht. Darin finden und fügen sich hunderte Risse, Pocken, Raster, Krater, Schlieren, Gitter oder Formen, die die abstrakte Fläche beleben. Bildschichten öffnen sich, von hinten dringen Dinge nach vorne, auch Licht. Interessant ist, dass Blau und Gelb völlig fehlen - Himmel und Sonne gab es im KZ Birkenau nicht.

Wer in den schweren Tropfen Tränen erkennt oder bei den Farben Zuordnungen zu Stoffen wie (rotes) Blut oder (grünes) Gift anstellt, der macht nichts falsch. Abstrakte Kunst soll nicht unverstanden bleiben. Kurator Helmut Friedel sagt, für die Abstraktion brauche man auch Musikalität. Er erklärt: "Bei Richter erleben wir Wirklichkeitserfassung in einer Malerei, die den repräsentativen Teil des Bildes im Malvorgang verschleiert und verdeckt. Es ist eine Malerei, die stattdessen ein Empfinden, ein tiefes Gefühl für den vermissten Gegenstand anbietet, was stärker wirken kann als die Unmittelbarkeit des Abbildes das zu leisten vermag."

Der Direktor des Frieder-Burda-Museums in Baden-Baden hat Gerhard Richter allen Raum gegeben, den der in Köln lebende Künstler für die Ausbreitung seines Materials braucht. Richter ist bei "Birkenau" wie ein Forscher in eigener Sache vorgegangen. Seit 50 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Holocaust, fünf Jahrzehnte wird das Thema in ihm gebrodelt haben. Mehrmals hat er damit gerungen, Fotografien aus Konzentrationslagern zu verarbeiten. Und dann hat er es wieder verworfen.

Mitte der 1960er Jahre begann der in Dresden geborene Künstler Fotos, Zeitungsausschnitte und Skizzen in seinem Archiv, dem "Atlas", zu sammeln. An unterschiedlichen Stellen führt er Zeugnisse des Schreckens auf, Erinnerungen an die Vernichtung von Menschen durch die Nationalsozialisten. Allein in Birkenau fanden mehr als eine Million Juden den Tod. Richter war Mitte 20, als er die ersten KZ-Fotos in seinem Leben gesehen hat, das habe ihn sehr erschüttert, sagte er einmal in einem Gespräch. "Mit Mitte 30 habe ich die Fotos gesammelt und versucht, sie zu malen. Ich habe das aufgeben müssen."

Nun aber ist das Werk vollendet, und es beschäftigt uns, bevor wir es sehen. Der Name Birkenau allein produziert Bilder aus dem Gedächtnis, die im Kopf mitreisen, wenn wir nach Baden-Baden fahren.

Die "Birkenau"-Tafeln haben einen eigenen Raum im Obergeschoss. Sie sind von links nach rechts in der gleichen Reihenfolge angeordnet wie die (viel kleineren) Original-Fotografien aus Birkenau an der Nebenwand. Gegenüber von den gemalten Bildern hängt eine fast identische "Birkenau"-Version in perfekter Fototechnik, Drucke hinter Glas sind es - ein vom Künstler selbstgewähltes "Echo", das die Einmaligkeit des Werkes aufhebt. Die Frage nach Bild und Abbild hat Richter schon früh gestellt. "Wenn beides gleichberechtigt nebeneinander steht", hat er einmal gesagt, "bleibt das Bild unzerstörbar." An der vierten Wand sind 93 malerische Details aus den "Birkenau"-Bildern extrahiert, als fünfter ergänzender Beitrag liegen in Vitrinen von Richter gestaltete Cover. Sie zieren 15 Bücher mit Berichten von Menschen, die das Konzentrationslager überlebt haben.

In Dresden waren die abstrakten Tafeln erstmals im vorigen Jahr zu sehen - damals trugen sie den Titel "Birkenau" noch nicht. Auch der Kontext des Original-Fotomaterials war nicht gegeben, es wurde nicht klar, dass die Fotos die Leinwand grundieren. Jetzt erschallt der wuchtige Werkkomplex in Baden-Baden fast wie ein persönlicher Paukenschlag des Kunststars. Gerhard Richter hat das vollendet, was ihn sehr lange umtrieb - kurz bevor er 84 Jahre alt wird (am 9. Februar).

Er hat nicht auf die Philosophen gehört, die infrage stellten, ob es nach Auschwitz Gedichte oder Bilder geben kann, ob man den Holocaust als Thema der Kunst überhaupt anpacken darf. Richter hat seine Form gewählt und gefunden, die beim Betrachter mit Vorwissen anders ankommen kann als ohne dass er Vorwissen hat.

Wer empfindsam mit der Kunst umgeht und geschulte Sinne hat, der wird schnell erspüren, was los ist auf den Tafeln, die "Birkenau" heißen. Man wird ungute Vibrationen wahrnehmen, aus den Farben und Strukturen Schlüsse ziehen, an Celans Gedicht "Todesfuge" denken oder an Mozarts "Requiem". Diese Bilder sind Kompositionen, die klingen - mehr nach Moll als nach Dur. Mehr nach Trübnis als nach Hoffnung. Gerhard Richters Malerei erhält in ihrer Abstraktion eine Allgemeingültigkeit: Man kann Hiroshima erinnern, die Endzeitstimmung im Irak oder das Grauen und den Völkermord von Syrien darin sehen.

"Ich erkenne etwas", denkt man, auf "Birkenau" blickend, oder "Es erinnert mich". Dies alles ist das Wichtigste und Heilsamste, was Kunst im Menschen auslösen kann: Dass sie in uns Saiten zum Klingen bringt, die vielleicht länger schon nicht angeschlagen wurden.

Gerhard Richters "Birkenau"-Komplex ist ein Requiem für Millionen Juden und gleichzeitig ein wichtiger Kommentar zur Gegenwart.

(RP)
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