Mönchengladbach Poisel macht auf U2 und Grönemeyer

Mönchengladbach · Der Liedermacher Philipp Poisel trat im Hockeypark mit Stadionsound auf.

Um sein neues Album "Mein Amerika" aufzunehmen, ist Philipp Poisel in die USA gereist. Dort ist ihm etwas Ähnliches passiert wie vor 30 Jahren einer irischen Band im kalifornischen Joshua Tree Nationalpark: Philipp Poisel klingt jetzt nach U2, nach Stadion-Breitwandsound. Mit Effekten aufgeblasene E-Gitarren geistern durch alle Zwischenräume, die seine Songs früher so angenehm luftig gemacht haben. Anders als auf seiner Hallentour im Frühjahr bereitet er seine Fans im Hockeypark in Mönchengladbach sanft auf diese Stilwende vor - und spielt zunächst Material von seinen ersten beiden Alben. Da ist er also wieder: Der Junge mit Gitarre und verwuscheltem Pilzkopf, der das Verhuschte, das Nuscheln, das Stammeln zum Prinzip erklärt hat.

Es wirkt manchmal, als hätte der 34-Jährige Eigenschaften seines Entdeckers Herbert Grönemeyer bewusst überzeichnet: den irgendwie unentschlossenen Tanz auf der Bühne, die eigenwillige Betonung der Songtexte. Manchmal sticht nur ein einzelnes Wort aus ganzen Zeilen hervor. Die "Sonne" zum Beispiel im Surfer-Idyll, das er in "Im Garten von Gettis" beschreibt. Einige Fans wenden dazu den Blick zum Himmel, wo die Sonne manchmal hinter Wolkenbändern hervorlugt. Der nächste Song trägt sogar einen Grönemeyer-Titel: "Halt mich" singen viele Paare mit, während sie sanft hin- und herwiegen. Im hinteren Bereich des Innenraums tanzt eine Mutter mit ihrer Tochter und ausgebreiteten Armen. Diese Musik verbindet Generationen.

Zum Tanzen gibt es hinten auch deshalb viel Platz, weil der Hockeypark mit knapp 5000 Besuchern nur zu einem Drittel gefüllt ist. Vor drei Jahren hat Philipp Poisel noch rund 15.000 Menschen in das Stadion gelockt. Vielleicht hat er mit seiner 180-Grad-Wende tatsächlich einige Fans verschreckt. Früher stach er aus dem musikalischen Einheitsbrei des deutschen Radiopop angenehm heraus: mit Sanftheit, Offenheit, Verletzlichkeit. Man mochte ihn jammern hören und klagen: "Ich hab' furchtbar Angst vorm Tod", ruft er in Mönchengladbach im Song "Froh dabei zu sein" aus. Er steht allein mit seiner Akustikgitarre auf einem Steg inmitten seiner Fans und erntet verständnisvolle Blicke.

Als kurz danach der schwarze Vorhang fällt und eine wie selbst gebastelte Hinterbühne erscheint, tritt die Akustikgitarre wieder in den Hintergrund. Der Bass pumpt, das Schlagzeug wumst, die E-Gitarre wabert. Als wäre es ein Naturgesetz, das deutscher Pop im Jahr 2017 so klingen muss. Ja, Philipp Poisel bleibt sich in diesem Einheitsbrei auch treu, seine Stimme bleibt zerbrechlich, sein Körper gekrümmt. Häufig kommt seine Freundin Alin Coen dazu. Sie singen dann Duette wie "Bis nach Toulouse".

"Mein Amerika" ist zumindest textlich ein sehnsuchtsvoller Gegenentwurf zum unschönen Amerika-Bild, das die Trump-Administration vermittelt. Und wenn sich ein Streichquartett zur Band gesellt, wird auch der Breitwand-Sound wieder ein wenig runtergefahren. Vielleicht ist noch Hoffnung, dass Philipp Poisel sich auf seine Stärken besinnt.

(RP)
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