Köln Oh, wie schön war Palmyra

Köln · In Köln lassen Zeichnungen der Goethe-Zeit die vom IS zerstörte antike Stadt auferstehen.

Goethe kam nur bis Italien, doch in Gedanken reiste er weit darüber hinaus. Im Orient fühlte er sich zu Hause, auch Palmyra war ihm nicht fremd, jene Stadt, deren vielbewunderte Ruinen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates im vorigen Jahr bis zur Unkenntlichkeit zerstörten. Goethe konnte sich ein Bild von Palmyra machen, weil er die Zeichnungen kannte, die der Künstler, Archäologe und Architekt Louis-Francois Cassas (1756-1827) dort 1785 angefertigt hatte. Als Goethe den Franzosen zwei Jahre später in Rom traf und der ihm die Blätter vorlegte, war er voll des Lobes. Nach Hause schrieb er: "Die Sachen des Cassas sind außerordentlich schön. Ich habe ihm manches in Gedanken gestohlen, das ich euch mitbringen will."

Jetzt erzählen diese Zeichnungen in einer kleinen, bezaubernden Ausstellung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums davon, was der Welt an Baukultur verloren gegangen ist. 40 Ansichten der antiken Monumente sind zu sehen, darunter Blätter aus einem Konvolut von 36 Zeichnungen von Cassas mit Motiven aus Palmyra und anderen Stätten des Vorderen Orients, die jetzt erstmals öffentlich zugänglich sind. Die Gerda-Henkel-Stiftung in Düsseldorf ermöglichte die Restaurierung. Man merkt den Zeichnungen an, dass ihr Urheber in erster Linie Architekt war. Nüchtern hat er Portale, Giebel, Säulen, Figurenschmuck und Pflanzenornamente festgehalten und damit der Nachwelt überliefert. Seine Kunst romantisiert nicht, versagt den Objekten durchweg Betrachter, die über die Ruinenfelder streifen könnten. Cassas ist ein strenger Dokumentarist, dennoch aber auch Liebhaber. Seine Liebe gilt dem Detail.

Der Rundgang durch die übersichtliche Schau beginnt bei den Zeichnungen vom Bel-Tempel im gleichnamigen Heiligtum. Sechs Blätter erinnern an den Kult um Bel, eine lokale Entsprechung des griechischen Gottes Zeus. Es folgt eine Skizze zu Grundriss und Außenansicht des Baalshamin-Tempels. Baalshamin war eine der bedeutendsten Gottheiten in Palmyra, wo sich die Kulturen des Vorderen Orients und des Westens zeitweilig kreuzten und sich Relikte aus unterschiedlichen Epochen erhalten hatten. So gelangt man vom Baalshamin-Tempel zum Diokletianlager der Oasenstadt und von dort ins Tal der Gräber mit seinen für Palmyra charakteristischen, mehr als 20 Meter hohen Turmgräbern. Hier hat sich Cassas dann doch einmal dazu hinreißen lassen, über die bloße Dokumentation hinauszugehen und dem Betrachter einen Blick in einen wolkigen Himmel zu gönnen. Auf ähnlichen Blättern hat er sogar Landschaften entworfen, die vollständig seiner Fantasie entsprungen sind.

Die Zeichnungen gruppieren sich um eine digitale Projektion von sechs Karten Palmyras. In ständigem Wechsel sind Topografien aus der Zeit vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des vorigen Jahres zu sehen. Die jüngsten Satellitenbilder zeigen nur mehr Wüste. Der "IS" hat ganze Arbeit geleistet, doch dies soll nicht das letzte Wort sein. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, fordert: "Baut die Tempel wieder auf!"

Info Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten 40, bis 8. Mai; Di.-So. 10-18 Uhr; Eintritt: acht Euro, ermäßigt 4,50 Euro

(B.M.)
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