Nihilisten im Selbstmörderclub

Juli Zeh hat mit "Leere Herzen" einen Roman über das Ende der Demokratie geschrieben.

Juli Zeh wirft uns ihren neuen Roman mit großer Gebärde vor die Füße; die Widmung klingt wie eine Drohung: "Da. So seid ihr". Die nahe Zukunft, so wie Zeh sie malt, ist die schwärzeste und schlechteste aller Welten, eine Hölle des Nihilismus, gnadenlos pragmatisch, effizient und egoistisch. Angela Merkel ist verjagt worden; ihre Nachfolgerin, Regula Freyer von der Bewegung Besorgter Bürger, peitscht populistische Sicherheits- und "Effizienzpakete" durch. Es gibt keine kritischen Intellektuellen mehr, keine nennenswerte Opposition; die Zeitungen sind gleichgeschaltet oder gestorben. Künstliche Intelligenzen denken für uns und optimieren alles: Ernährung, Verkehr, Kultur, bedingungsloses Grundeinkommen. "Ruhe sanft, öffentlicher Diskurs", schreibt Zeh in ihrem Nachruf.

Im Roman leidet Britta Söldner manchmal auch unter ihrem leeren Herzen und schlechten Gewissen; der Mangel an Überzeugungen und Idealen schlägt ihr buchstäblich auf den Magen. Ihre Kinder spielen Kuschel-Killerspiele mit Glotzis, Terror-Barbies und "Mega-Melanie" und jubeln "Kollateralschaden!", wenn sie ein neues Egoshooting-Level erreicht haben. Ihr Mann, ein treudoofer Start-up-Unternehmer, verkauft seine Seele für Risikokapital aus der Crowd. Britta, pragmatisch und effizient bis hin zum Zynismus, macht aus dem Zusammenbruch aller Werte ein Geschäftsmodell. Zusammen mit Babak, einem schwulen Nerd mit irakischem Migrationshintergrund, betreibt sie in Braunschweig eine Agentur für "Self-Managing, Life-Coaching, Ego-Polishing". Offiziell ist es eine Heilpraxis, in der potenzielle Selbstmörder mit einer zwölfstufigen Schocktherapie (inklusive Waterboarding) ins Leben zurückgeführt werden. In Wahrheit vermittelt sie den untherapierbaren Rest als Selbstmordattentäter an potente Auftraggeber wie den IS.

So profitieren alle vom diskreten Service des "Terrordienstleisters". Die Dschihadisten oder auch die Gutmenschen von Green Power müssen nicht mehr lange nach Kanonenfutter suchen. Die Attentäter geben ihr Leben nur für etwas her, das ihren hohen Ansprüchen genügt: Tierschutz, Separatismus, Occupy oder auch Allah.

Alles geht seinen geregelten Gang, bis eine Konkurrenzorganisation auf den Plan tritt. Sie nennt sich "Empty Hearts" und stört mit ihrem dilettantischen Anschlag den Markt und die Logik des Funktionierens. Brittas versteinertes Herz gerät wieder in Bewegung, Babak zieht Lassie, dem Terror-Server mit den unfehlbaren, "proaktiven" Algorithmen, den Stecker. Zusammen kidnappen sie Guido Hatz, eine zwielichtige Figur, die sich mal als Wünschelrutengänger, mal als Schutzengel ausgibt und wohl auch Verbindung zum Geheimdienst und der alten Angela Merkel unterhält. Mehr darf man nicht verraten, denn "Leere Herzen" ist auch ein politischer Thriller.

In den letzten Jahren entstanden viele literarische Dystopien, in denen die nähere Zukunft als verlängerte Unheilsgeschichte der Gegenwart erscheint. Dave Eggers überzeichnete in seinem "Circle" die Heilsversprechen des Silicon Valley. In Michel Houellebecqs "Unterwerfung" wird Frankreich von einer kommoden islamistischen Diktatur regiert. Juli Zeh hat ihr Engagement für Demokratie und Bürgerrechte selber auch schon mit Zukunftsromanen wie "Corpus Delicti" flankiert und Waffen wie Holzhammer und Moralkeule eingesetzt.

"Leere Herzen" ist jetzt wieder ein Schritt zurück: Der politische Zweck ist offensichtlich wichtiger als die erzählerischen Mittel. Figurenzeichnung, Plot, selbst Natur- und Landschaftsschilderungen, alles wird einer höheren Absicht untergeordnet: zu zeigen, wohin es führt, wenn Menschen ihre Überzeugungen und Ideale für die Linsengerichte von Konsum, Entertainment und smarten Profit verkaufen.

Zehs demokratisches Engagement ist ehrenwert, aber nur bedingt unterhaltsam. Am Ende ist der Roman nur eine zähe Satire auf die leeren Herzen und hohlen Köpfe im Selbstmörderclub.

(RP)
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