Berlin Der Schlossherr ist gefunden

Berlin · Mit Neil MacGregor soll ein Brite erster Direktor des neuen Humboldt-Forums werden.

Neil MacGregor wird Schlossherr für neues Humboldt-Forum
Foto: dpa, htf

Schon einmal ist vom Berliner Schloss aus eine Revolution verkündet worden. Das war am 9. November 1918, als Karl Liebknecht von einem Balkon der Residenz die erste Republik auf deutschem Boden und im Überschwang freiheitlicher Gefühle die Weltrevolution ausrief. Ein knappes Jahrhundert später ist eine Republik eifrig bemüht, den Fürstenpalast von einst für rund 600 Millionen Euro wieder aufzubauen und ihm ein demokratisches Profil zu geben. "Humboldt-Forum" wird das Bauwerk heißen und soll ein Zentrum für Wissen und Bildung werden.

Doch natürlich wird es auch der Symbolbau für ein neues deutsches Selbstbewusstsein im 21. Jahrhundert sein. Dieser Wiederaufbau dürfte mit der Nation stärker verknüpft bleiben als die parlamentarische Wiederbelebung des Reichstages gleich nebenan. Und da mutet es wie eine andere kleine Revolution an, wenn der künftige Schlossherr nicht aus Deutschland, sondern aus Großbritannien kommt: der 68-jährige Neil MacGregor. Was nach diplomatischer Symbolbesetzung klingt - nämlich als Zeichen eines wahrhaft europäischen Bewusstseins -, ist im Grunde ein Coup. Weil Neil MacGregor seit einigen Jahren schon zu den angesehensten und populärsten Kunsthistorikern zumindest Europas zählt. Der schottische Arztsohn gilt als unterhaltsamer Gelehrter, was bei den Briten zwar nicht ungewöhnlich ist, in der Gilde der Museumsdirektoren aber als Einzelfall gelten darf. Gelegentlich wird er in heimischen Gefilden auch "Heiliger Neil" genannt. Und dahinter steht nicht nur britischer Humor. Zudem wurde er vor sieben Jahren zum "Briten des Jahres" gewählt.

Seine Laufbahn hat kunsthistorisches Champions-League-Niveau. Allein seine Direktorenposten in der National Gallery in London und zuletzt im "British Museum" vergolden jede Bewerbungsmappe. Herausragende Kompetenz können auch andere vorweisen; MacGregor aber liebt es, klug zu unterhalten. Sein so leichthändig geschriebenes Buch "Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten" wurde ein Bestseller und vor drei Jahren zum Wissensbuch des Jahres gewählt. Spätestens dieses Welterklärungsbuch mit Humboldtscher Entdeckungslust hat ihm in Deutschland viele Freunde beschert. Prominent wurden seine Fans aber mit seiner Londoner Ausstellung "Germany - memories of a nation" im vergangenen Jahr. Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte die Schau und gehörte seither zu den Fürsprechern des Briten. MacGregor zu fragen, "Leiter der Gründungsintendanz Humboldt-Forum" zu werden, ist eine kluge wie gewiefte Entscheidung. Dass er allerdings jetzt tatsächlich nach Berlin kommt, ist ein kleiner Glücksfall. Denn früheren Angeboten - etwa aus dem Metropolitan Museum of Art in New York - soll er Absagen erteilt haben.

Was mit Neil MacGregor anders wird, lässt sich noch gar nicht sagen. Aus dem einfachen Grund, weil die große Linie für das in vier Jahren fertiggestellte Bauwerk noch gar nicht existiert. Dass imposante Sammlungen dort unterkommen werden - etwa die Werke des Ethnologischen Museums sowie die Staatsbibliothek -, ist zwar ausgemachte Sache. Doch hört sich das momentan eher tot als lebendig an. Um das neue Humboldtforum tatsächlich zu beleben, bedarf es mehr als einer sogenannten Agora, wie die Lobby idealistisch beschrieben wird.

Auf jeden Fall wird Neil MacGregor jetzt einem der spannendsten Museumsneubauten der Gegenwart vorstehen. Vieles steht ja in der Kritik - wie die Retrokultur des Wiederaufbaus, verwirklicht nach den Plänen des italienischen Stararchitekten Franco Stella. Manches ist ungewiss, wie die Wirkung des neuen alten Schlosses mitten in Berlin und vielleicht dann auch mitten in der deutschen Nation.

Vom Schloss aus hat Friedrich Wilhelm IV. die Massen bei der Revolution 1848 zu beruhigen versucht; vom Schloss aus schwor Wilhelm II. sein Volk auf den bevorstehenden Krieg ein, ehe vier Jahre später von gleicher Stelle Liebknecht das Ende der deutschen Monarchie verkündete. Und jetzt? - nach einem weiteren Weltkrieg? Nach Deutschlands Teilung und seiner Wiedervereinigung? Nach der Schloss-Sprengung 1950 und seinem jetzigen Wiederaufbau? Vielleicht ist an diesem deutschen Ort endlich Zeit für den Geist Alexander von Humboldts: "Die gefährlichste alle Weltanschauungen ist die Weltanschauung derjenigen Leute, welche die Welt nie angeschaut haben."

Auf Neil MacGregor wartet eine spannende Aufgabe.

(RP)
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