Wolfgang Niedecken im Interview "Ich bin ein Frauenversteher"

Köln · Neues Album, neue Tour, neues Buch und ein Interview, in dem BAP-Chef Wolfgang Niedecken vor allem seine Ansichten zur Familie ausbreitet.

 Wolfgang Niedecken (Archivbild).

Wolfgang Niedecken (Archivbild).

Foto: dpa

Der Mann ist 66 und produktiv wie eh und je: Kürzlich ist sein "Familienalbum Reinrassije Strooßekööter" erschienen, dazu ein neues Buch. Und 2018 geht's auf Tour. Anlass für ein Gespräch mit dem in Köln verwurzelten BAP-Chef.

Was bedeutet Familie heute?

Niedecken Zu wissen, wo man hingehört. Das schafft Identität und beruhigt. Ich glaube nicht, dass ich ohne Familie funktionieren könnte. Vermutlich würde ich furchtbar vor die Hunde gehen.

Was ist heute anders als früher?

Niedecken Es gibt kaum noch Großfamilien. Mein Vater hat einen Sohn mit in die Ehe gebracht, meinen großen Bruder, der war 20 Jahre älter als ich. Der hatte später auch Frau und Kinder. In Kölns Severinstraße 1 wohnten nur unsere Großfamilie und Leute, die in unserem Lebensmittelladen gearbeitet haben.

Heutzutage lebt fast jeder fünfte Erwachsene nicht mit einem Partner zusammen, also allein. Es gibt, freiwillig oder unfreiwillig, einen Verzicht auf Familie...

Niedecken ...weil sich bei den meisten die Strukturen aufgelöst haben. Viele vereinsamen regelrecht. Irgendwie habe ich das schon in den 70ern geahnt, als ich als Zivi Essen auf Rädern ausgefahren habe. Meine Kunden waren oft alte Leute in der vierten oder fünften Etage, die man im Straßenbild nirgendwo gesehen hat. Mittlerweile sind es nicht nur alte Menschen.

Nun gibt es heutzutage ja auch andere Möglichkeiten, Familie zu haben. Etwa durch Modelle wie "Co-Parenting", bei dem man ohne Liebesbeziehung ein Kind bekommen kann.

Niedecken Ich glaube nicht, dass das auch Familie ist, da bin ich ziemlich old school. Das geht für mich schon Richtung Menschenzucht. Nä. Da fängt's für mich an aufzuhören.

Ihr neues Album, für das Sie in New Orleans autobiografische Songs neu eingespielt haben, klingt nach Rückzug in politisch aufregenden Zeiten.

Niedecken Für mich persönlich ist Familie kein Rückzug, sondern ein sehr wichtiges Thema. Ich bin jetzt 66 Jahre alt, und das Album ist meinen Ahnen und meinem Stamm gewidmet. Im Opener "Reinrassije Strooßekööter", den ich neu geschrieben habe, geht es um einen alten Rama-Karton mit Familienfotos, der in meinem Arbeitszimmer steht.

Dazu singen Sie selig, dass Blut dicker sei als Wasser. Die strammen CSU-Politiker werden sich freuen.

Niedecken Von mir aus! Machen wir denen halt auch mal eine Freude. Am Ende geht es uns allen doch gleich: Auch wenn Verwandte politisch mal auf einem ganz anderen Dampfer sind, mögen wir sie trotzdem, ohne es erklären zu können. Wir wollen doch tolerant sein und vor allen Dingen demokratisch.

Sie haben aus zwei Ehen vier Kinder - zwei Söhne und zwei Töchter. Zu welchen ist der Kontakt enger?

Niedecken Zwangsläufig zu den Töchtern, weil sie mit mir in einem Haus aufgewachsen sind. Ich bereue es, dass meine Söhne mehr oder weniger ohne Vater groß wurden. Die hatten nie den Mann, der auch mal gesagt hat, wann Schluss ist. Sind trotzdem gut geworden, die Jungs. Beide auf der Kunsthochschule für Medien, der eine hat mit einem Dokumentarfilm sogar schon den Gerd Ruge-Preis gewonnen. Da bin ich auch ein wenig stolz.

Nicht gut, eine Familie in den Sand zu setzen, oder?

Niedecken Eine Scheißangelegenheit ist das, und ich bekam natürlich zu spüren, dass die beiden Jungs zur Mutter gehalten haben. Aber was hätte ich damals anders machen sollen? Als ich meine erste Frau Carmen kennengelernt habe, war sie Krankengymnastin und ich frei schaffender Künstler, der ab und zu mal in der Kneipe gesungen hat. Zoff und Ärger kamen, als die Musik wichtiger wurde.

Welches Kind ähnelt Ihnen?

Niedecken Severin, mein Ältester. Der geht nicht nur nach mir, der ist wie ich. Ein frei schaffender Künstler halt. Wir können uns hinsetzen, kein Wort reden und gucken uns dabei ins Gehirn. Wir denken gleich und setzen uns den gleichen Gefahren aus, weil wir beide nur das tun, was wir gerne tun.

Welche Glaubenssätze haben Sie Ihren Kindern fürs Leben mitgegeben?

Niedecken Das Wichtigste ist, zwischen Original und Fälschung unterscheiden zu können. Das hat nichts mit Donald Trump und dem ganzen Fake-Quatsch zu tun. Das Gespür dafür, wer es ehrlich meint und wer nicht, ist Rüstzeug fürs Leben. Das ist ein Vertrauensinstinkt.

Im Winter sind Sie mit Ihrer Familie einige Jahre in die Schweizer Berge gefahren. Alle wollten Ski fahren, nur Sie sind mit dem Hund spazieren gegangen. Ist es Ihnen als Pater familias bei Ihren Kindern leicht gefallen, Zugeständnisse und Kompromisse zu machen?

Niedecken Logisch, ich bin doch kein Despot! Als die Kinder klein waren, saß ich auf der Berghütte, habe mir viele Romane mitgenommen zum Lesen. Ich war der Kinderbetreuer, der mit den Skianzügen kämpfen durfte, wenn die Kleinen Pipi mussten.

Hören Sie auf Ihre Frau und Ihre Töchter?

Niedecken Was bleibt einem denn übrig, wenn man mit drei Frauen zusammenlebt. Ich selbst bin ja in einem Männerhaushalt aufgewachsen. Wenn ich früher Töchter oder Schwestern gehabt hätte: Ich hätte mich im Leben besser zurechtgefunden. Mittlerweile bin ich ein echter Frauenversteher. Notgedrungen.

Das Jahr 2011 war für Sie eine Zäsur. Sie erlitten einen sehr speziellen Schlaganfall. Wie hat dieses Ereignis das System Ihrer eigenen Familie verändert?

NBiedecken Meine Töchter sagen, ich wäre aufmerksamer geworden. Ich selbst habe den Eindruck, ich bin jetzt klarer und entschlossener. Seit dem Schlaganfall kann ich viel schneller entscheiden, etwas zu ändern, wenn was nicht gut läuft.

Das Interview führte Stefan Ruzas

(RP)
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