Udo Lindenberg "Ich bin ein entspannter Vogel"

Hamburg · Seit Jahrzehnten prägt er die deutsche Rockmusik, heute ist er erfolgreicher und beliebter denn je. Am 5. Dezember wird Udo Lindenberg als "Düsseldorfer des Jahres" geehrt. Ein Gespräch über Erwartungen, Zweifel und Trost in schweren Zeiten.

 Die Texte kommen bei ihm irgendwann von irgendwoher angeflogen - "irgendwelche guten Geister schreiben da mit", sagt der 70-Jährige.

Die Texte kommen bei ihm irgendwann von irgendwoher angeflogen - "irgendwelche guten Geister schreiben da mit", sagt der 70-Jährige.

Foto: dpa, bsc

"Hallöchen", sagt Udo Lindenberg standesgemäß zur Begrüßung und ist sofort beim Du. Weil der Musiker ein Nachtmensch ist, findet das Gespräch mit ihm nach 20 Uhr statt, und wie es sich ziemt für jemandem, der im Hotel lebt, sitzt er währenddessen in einer Hamburger Hotellobby. Allerdings hält auch ein Udo im Interview seine Fans nicht ab, mit ihm auf Tuchfühlung zu gehen - alle paar Minuten muss er unterbrechen. Die Menschen lieben ihn eben. Am 5. Dezember wird er in Düsseldorf mit einem Spezialpreis als "Düsseldorfer des Jahres" geehrt.

Du bist seit Jahren auf Erfolgskurs, dein neues Album ist bisher das erfolgreichste des Jahres. Hast du Angst, dass es eines Tages vorbei sein könnte?

Udo Lindenberg Das geht ja jetzt schon lange, und das wundert mich auch. Ich hatte schon ein bisschen Bammel, ob das jetzt nochmal ein Volltreffer wird, das dritte Ding in Folge. So'n Hattrick ist natürlich megageil, also endgeil. Aber hat ja geklappt. Und jetzt soll es auch so bleiben. Jetzt will ich auch nicht mehr anders. Die Touren laufen ja auch gigantisch. Angefangen hatten wir ja in Düsseldorf mit den Stadionkonzerten, da hatte ich auch Bammel, eine schlaflose Nacht im Breidenbacher Hof. Aber dann hat das alles so hingehauen, dann war das so familiär, so intim, so intensiv, große Liebe, rheinische Frohnaturen, rheinische Sensibilität.

Wächst mit so einem Erfolg auch der Erwartungsdruck?

Lindenberg Ja, gibt's natürlich auch, den Erwartungsdruck. Aber ich bin grundsätzlich ein entspannter Vogel, weißte. So der Meister der Coolness. Weil ich aus Erfahrung weiß, dass das Ding nur mit kühler Denke-Denke und flammendem Herzen nach vorne geht. Ich neige nicht zur Hektik oder dazu, mich verrückt zu machen. Es fällt mir immer was ein: Du musst sowieso immer ready sein für Chemieblitze und den Kuss der Muse. Manchmal hat die Muse auch keine Zeit, ist gerade nicht in der Gegend, dann musst du eben ein bisschen warten.

Gibt's auch Momente, in denen du alles in Zweifel stellst?

Lindenberg Manchmal frage ich mich schon, ob das auch genug bringt, zum Beispiel politisch. Können wir wirklich genug bewirken, von Dylan über Belafonte bis Rock gegen Rechts, als Sänger, als Öffentlichkeitsjongleure? Müssen wir mehr auf die Straße gehen? Aber ich denke, wir erreichen schon viele. In den vergangenen drei Jahren waren 800.000 Menschen bei unseren Konzerten, die können wir sensibilisieren, das ist auch innenpolitische Arbeit. Und Sinnkrisen, das hat ja jeder manchmal, Fußpilz und Sinnkrisen.

Du hast immer plakative politische Botschaften in Lieder gepackt. Heute ist die Popszene generell unpolitischer. Müsste da mehr gehen?

Lindenberg Mehr fände ich besser, wenn mehr Leute was machen, sich positionieren würden, auch aus der Schlagerecke. Wenn von Helene Fischer auch mal ein Statement käme gegen Rechtspopulismus. Aber es gibt viele, die äußern sich prinzipiell gar nicht, die sagen, wir sind reine Entertainer, wir machen nur Unterhaltung nach dem Motto: Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino, vergiss die Welt da draußen. Fände ich besser, wenn mehr Leute einsteigen würden. Es gibt ja einige, die Haltung zeigen, Grönemeyer zum Beispiel, BAP, Niedecken, die Toten Hosen, Jan Delay, Clueso, und die haben ja eine Haltung.

Dir hören die Menschen zu. Könnten Sie nicht gerade jetzt etwas Klartext vertragen?

Lindenberg Es gibt ja nicht nur die Songs, es gibt auch Statements auf der Bühne und Ansagen. Kann man machen, sollte man auch mehr machen, gerade in diesen besorgniserregenden Zeiten.

Den Preis "Düsseldorfer des Jahres" bekommst du auch für dein Engagement gegen Rassismus und für Toleranz. Was bedeutet dieser Preis für dich?

Lindenberg Finde ich prima. Ich komme aus Gronau an der Donau, und mit 12,13 bin ich da schon hingetrampt nach Düsseldorf, habe in der Jugendherberge in Oberkassel übernachtet und gedacht: boah, geile Stadt. Weißte, die erste richtig große Stadt. Dann bin ich da mit 15 hin, kennst ja die Story, Ausbildung angefangen als Kellner im Breidenbacher Hof, und dann die Jazz-Läden da, das war echt ein Flash. Da war ich alleine mit großen Träumen in einer Riesenstadt, hatte dann meinen ersten Job als Trommler in der Altstadt, hier mal trommeln, da mal trommeln. Das war das Fenster zur Welt für mich.

Hat die Zeit im Breidenbacher Hof die Grundlage gelegt für das Leben im Hotel oder die Liebe zum Hotel überhaupt?

Lindenberg Ja, ich denke schon. Weißte, ich wollte erst Musiker werden, oder später Erbschleicher oder Manager im Underground auf der Reeperbahn, aber wenn es geht Popstar. Oder eben aus Sicherheitsgründen: Schiffssteward auf den großen ordentlichen Kähnen. Da muss man nur eine Lehre in einem sehr sehr guten Hotel gemacht haben. Ein Kumpel aus Gronau hat mir gesagt, im Breidenbacher Hof kannst du eine Kellnerlehre machen, das ist ein gutes Ding. Also bin ich dann dahin. So ein Hotel, das ist ja auch große weite Welt sehen, weißte, große Stars, damals in der Lobby, Yehudi Menuhin, Maria Callas. Wie im Windkanal zog der Sternenstaub aus Hollywood da durch.

Das Leben im Hotel hat viele Vorteile. Aber findest du da auch Privatheit?

Lindenberg Ja, absolut. Das ist ja wie eine Familie im Hotel "Atlantic". Ich habe da meine Privatgemächer, meine Villa Kunterbunt, wo ich auch male und meine Kumpels treffe, wo wir erzählen, Texte machen, Streiche spielen. Und dann kennst du natürlich viele Leute, den Etagenkellner, die Rezeption, den Mann an der Bar. Die setzen sich morgens zu dir an die Bettkante, bringen Frühstück, und erzählen mir ihren Liebeskummer, und trallala.

Hast du Lieblingsorte oder -stunden im Hotel?

Lindenberg Im Hotel ist es sehr gesellig, da kommen ständig Menschen rein, dann machst du schnackedischnack, trinkst gemeinsam einen Eierlikör, schmauchst eine, und dann erzähle ich auch von meinen Texten. Das ist Austausch an der Basis, weißte. Ich schreibe die Texte nicht still in der Stube, sondern auf der Straße, unterwegs. Das Leben im Hotel ist für mich genau richtig. Ich habe meine Ruhe, wenn ich will, und ich habe ordentlich Action. Ich muss meinen Müll nicht persönlich heruntertragen. Es gibt ja diesen berühmten Spruch: Hätte Bach seinen Müll heruntergetragen, hätte er so manche Kantate nicht geschrieben.

Du lebst ja mittlerweile recht gesund, hältst dich fit, joggst nachts durch die Straßen. Bist du da alleine unterwegs?

Lindenberg Mal alleine, mal mit Freunden. Alleine laufe ich meist zur Geisterstunde, wenn die Straßen leer sind, im Schutz der Dunkelheit, ziehe meine Rennschuhe an und laufe los.

Was erlebst du da?

Lindenberg Ich kann da gut Denke-Denke machen, weißte. Den Tag reflektieren, die Texte, die Ideen. Da kannste gut alleine sein. In Düsseldorf laufe ich über die Oberkasseler Brücke, quer durch die Altstadt und die Kö-Meile runter. Für mich ist das ein bisschen Städte entdecken, immer die gleiche Strecke würde mich nicht jucken, so ist das interessant.

Brauchst du bestimmte Rituale, um Lieder schreiben zu können?

Lindenberg Nein, die Texte kommen irgendwann angeflogen. Ich kreise das Thema ein, so adlermäßig, aus der Vogelperspektive, das wird dann immer klarer. Dann bin ich mit dem Thema in meinem Herzen unterwegs, dann kommen die Dinger angeflogen, manche im Halbschlaf oder unter der Dusche, das ist egal. Manchmal weiß ich auch nicht, wo das herkommt, aus der Tiefe des Weltalls, weißte, und ich werde da zu einer Art Werkzeug der Literatur. Ich sehe mich dann zum Kuli greifen und auf Bierdeckel schreiben. Und ich gucke darauf und denke, das ist ja so genial, das kann ich gar nicht alleine getextet haben. Das kommt von irgendwoher, irgendwelche guten Geister schreiben da mit.

Viele deiner aktuellen Songs bauen auf, spenden Trost. Ist das für dich eine Triebfeder - Menschen durch Musik aufzubauen?

Lindenberg Ich treffe so viele Leute, die durchhängen, höre viele Dramen, schwere Schicksale. Dem Tod entkommen, weißte. Das spielt auch in meine Texte rein. Mit einem guten Song kann ich Leute wirklich begleiten und ihnen ein bisschen Power geben, sie nach vorne bringen. Ein sehr enger Freund zum Beispiel hatte einen ganz schweren Hänger, und da habe ich gesagt, durch diese schweren Zeiten, da gehen wir durch, ich begleite dich da. Und dann geht die Sonne wieder auf.

Jörg Isringhaus führte das Gespräch.

(RP)
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