Neues Album "Stärker als die Zeit" Wie Udo Lindenberg uns alle udofiziert hat

Düsseldorf · Wortschöpfer, Lebenskünstler, Nuschelkönig: Kurz vor seinem 70. Geburtstag ist der Sänger beliebt wie nie zuvor. Eine Würdigung.

 Die undatierte Aufnahme zeigt das Coverfoto des neuen Albums von Udo Lindenberg.

Die undatierte Aufnahme zeigt das Coverfoto des neuen Albums von Udo Lindenberg.

Foto: dpa, bra ehl soe

Das muss man jetzt mal sagen, dass nämlich Udo Lindenberg ganz sicher ein toller Musiker ist, dass er aber als Persönlichkeit und Idee mindestens ebenso bedeutend ist.

Und "bedeutend" ist ja auch so ein Wort, das man von ihm übernommen hat; in dem Lied "Mädchen aus Ost-Berlin" aus dem Jahr 1986 kommt es vor, da bezeichnet er eine Frau, die er sehr mag, als "bedeutend", und das ist ziemlich schön und total wahr, denn Menschen, die man sehr mag, sind nun mal bedeutend.

Jedenfalls kann man so einen wie Lindenberg gerade gut gebrauchen; einen, der das Mächtige klein macht und das Unwichtige groß. Einen, der die Familie als Lebensform gewählt hat, aber Familie nicht auf Verwandtschaft beschränkt, sondern auf Blutsbrüder ausdehnt, auf partners in crime, Saufkumpane und Gleichgesinnte, auf Mitmenschen.

Am 17. Mai wird er 70

Das ist denn vielleicht auch der Grund, warum Lindenberg nach den 20 Jahren, die er unter dem Radar im Tiefflug verbracht hat, 2008 ein phänomenales Comeback feiern konnte: Weil man merkte, dass der sich nie verbogen hat, dass der ein konsequenter Künstler des So-Seins ist, biografisches Kunstwerk, deutscher Meister der Eigentlichkeit, eine Instanz, der Helmut Schmidt des Deutschrock.

Am 17. Mai wird Udo Lindenberg 70 Jahre alt, und jetzt veröffentlicht er eine neue Platte. Sie heißt "Stärker als die Zeit", und sie ist ziemlich gut, aber auch sehr traurig, denn einige der Texte durchzieht Melancholie, ein Hauch von Abschied: "Seinen alten Kumpel Hoffnung hält er im Arm, so fest er kann". Da schaut einer auf sein Leben zurück, er bilanziert und nimmt das Alter ernst, und für den Hörer ist das, als bekomme er den Schlussteil einer Autobiografie zu hören, deren Anfang er noch genau im Ohr hat.

Die Sprache rundgelutscht

Lindenberg klingt auf dieser Platte weise und wissend, und er ist dabei zugleich so arglos und aufrichtig wie früher. Auch das muss man nämlich jetzt mal sagen, dass er Deutsch überhaupt erst zu einer Sprache rundgelutscht und umgenuschelt hat, in der man singen kann, ohne peinlich zu sein, in der man sein Herz ausschütten kann, ohne dass es kitschig wird.

Udo Lindenberg für seine Lebensleistung geehrt
18 Bilder

Udo Lindenberg für seine Lebensleistung geehrt

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Das korrekte Deutsch war ihm nicht plastisch, echt und unmittelbar genug. Also hat er sich irgendwann in den 70ern maskiert, hat sich ein Bühnen-Ich geschaffen, um die Sprache zu entlarven, und dann hat er losgereimt, erst "Feuerwasserflaschen" auf "Lederjackentaschen" und dann auch das: "Der Nachmittag war wirklich stark / Hat wirklich viel gebracht / Und im Kino haben wir sehr über Woody Allen gelacht / Wir können uns ja morgen wiedersehen — abgemacht?"

Vielleicht standen ja die Beatles Pate

Das ist unfassbar toll, das ist aus dem Lied "Nina" von 1976, und es zeigt, dass es bei Lindenberg mehr noch als um Komposition und Melodie um die Sprecherstimme geht, um denjenigen, der einem eine Novelle aus dem echten Leben erzählt. Bei ihm sind das immer Freunde und Kumpel, und abgeguckt hat er sich das Prinzip womöglich von den Beatles, denn in "She Loves You" spricht ebenfalls und vielleicht zum ersten Mal im Pop ein empathischer Kerl im Vertrauen zu seinem Kumpel: Mann, merkst Du das nicht: Sie liebt Dich! Yeah Yeah Yeah! Jedenfalls gibt es nirgendwo soviel Herzlichkeit wie bei Lindenberg, im Werk keines anderen Rockstars wird sich so stark umeinander gekümmert.

Diese Ehrlichkeit, die Offenheit, das Waidwunde mitunter, übersieht man bei Lindenberg leicht, denn er tarnt sie von jeher hinter der Comicfigur, die er spielt, und unter deren Hut der echte Lindenberg irgendwann verloren gegangen ist. Udo-Sprech funktioniert wie Domino: Er sagt einen Satz, nimmt das letzte Wort und legt damit einen neuen Satz. Und aus dessen letztem Wort knüpft er wieder einen neuen Satz. Dann kräuselt er die Nase, die Bewegung läuft bis zur Stirn, wandert über die Kopfhaut, drückt den Hut hoch und endet im Nacken.

Zuhause bei Hermann Hesse

Dieser Easy-Sprecher, der seinen Beruf als "Jodelage" bezeichnet, wirkt wie ein guter Geist und ein Vertrauter. Die Worte in diesem Autopilot-Larifari kann man zum Wörterbuch des Ungefähren zusammenfassen: irgendwie — ne? — so'n bisschen — weiße? — mal gucken — keine Panik — kommt nich' so drauf an — alles klar. Und mitten in diesem Schubidu funkeln immer wieder Juwelen: "Ich hatte noch Restblut im Alkohol", "der Gin des Lebens", "Lebensänderungsschneiderei", "Alle Tage sind gleich lang, jedoch verschieden breit."

Und dann ist da eben auch der Dichter Lindenberg. "Bei Hermann Hesse fühle ich mich am zuhausesten", hat er mal gesagt, und die Konstruktion dieses Satzes ist schon eine Sensation für sich. Man muss sich nur noch einmal "Flipper" von 1977 anhören, und man fasst es nicht, wie wahr das ist und wie schön: "Schade, denn du wärst sie gewesen, die Frau, zu der ich mich bekenn' / Mit der ich durch ein ganzes Leben renn' / Ich gehör' zwar zu dir, trotzdem haut das nicht hin / Weil ich doch leider nur ein Flipper bin." Da kann einer nicht anders, er muss fort: Drifter, immer unterwegs, Leben im Hotel, Straße riecht nach Adrenalin, weltweite Action.

Jetzt ist er Alterspräsident

Man braucht so jemanden, weil er wie die biografische Goldreserve des eigenen Lebens wirkt, und die neue Platte hätte auch viel weniger gut sein dürfen als sie tatsächlich ist, denn es geht nicht darum, dass Lindenberg noch einmal den großen Wurf landet. Er muss einfach nur noch da sein, er muss er sein und so sein und einem die Hand reichen. "Wie zwei Helikopter schweben wir über den Dingen", heißt es im aktuellen Stück "Durch die schweren Zeiten", einem Schutzengel-Song: "Wenn wir zusammenhalten, kommt die Sonne durch."

Jetzt ist er der Alterspräsident aller Junggebliebenen, sein Einfluss auf unsere Umgangssprache ist enorm, wir sind udofiziert, und es ist nun viel lustiger, Deutsch zu reden. In "Gegen die Strömung" (1981) singt er: "Ich geh mit dir durch Dick und Dünn / aber nicht durch Dick und Doof / Bitte schmeiß nicht gleich unsere Liebe weg, wenn ich mal mit 'ner anderen poof." So lange er da ist, kann einem nichts passieren, irgendwie.

Tickets für die kommenden Konzerte mit Lindenberg unter www.westticket.de

(hol)
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