Liedermacher feiert Geburtstag Reinhard Mey — 70 Jahre unter den Wolken

Berlin · 70 Jahre alt wird der Barde: Deutschlands produktivster und populärster Liedermacher feiert am Freitag Geburtstag. An Ruhestand denkt er noch lange nicht.

Das ist Reinhard Mey
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Reinhard Mey ist der Meister der launigen Lakonie. Und daran ändert auch sein 70. Geburtstag nichts. "Ja, ich weiß, ich werde in diesem Jahr 70", schreibt er auf seiner Internetseite. "Ein Uhrzeiger, der eine Ziffer weiter springt, das ist alles. Keine Mega-Party, kein Aufriss, kein Fernsehen, kein Radio, keine Interviews. Ich habe Euch mein Leben in meinen Liedern erzählt, Ihr wisst alles von mir." Das stimmt allerdings: Von A wie "Ankomme Freitag, den 13." bis Z wie "Zwischen allen Stühlen" hat Mey oft genug sein Innerstes ausgebreitet, Privates wie Politisches, Absonderliches wie Alltägliches, Witziges wie Weinerliches. Mehr als 500 Lieder umfasst das Werk des Frankophilen (die Franzosen kennen ihn als Frédéric Mey); sein erstes Chanson erschien 1964: Mey ist damit einer der wichtigsten Chronisten der Bundesrepublik Deutschland.

Es gehört seit jeher zu Meys Selbstverständnis, als kritischer Liedermacher der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Gerne unverblümt, häufig allegorisch verrätselt, meistens treffsicher. Spöttische Ironie ist Meys Lieblingswaffe, doch die kann auch mal daneben gehen. So nahm er 1972 die Verirrungen der 68er mit "Annabelle, ach Annabelle" aufs Korn und erntete teils heftige Ablehnung. "Mit dieser Karikatur einer linken Studentin entpuppte sich Reinhard Mey endgültig als einer, der seinen kleinbürgerlichen Zuhörern, die sich ihre heile Welt nicht rauben lassen wollen, nach dem Mund singt", lästerte etwa Thomas Rothschild in seinem Buch "Liedermacher". 26 Jahre später schrieb Mey das Versöhnungslied "Der Biker": "Annabelle, diesmal machen wir zwei es richtig/Ideologie ist diesmal nicht so wichtig/Kleinliche Polemik, sinnloses Gestreite/Eigentlich standen wir auf derselben Seite." Heute spielt Mey die Lieder nur noch im Doppelpack.

Für Pazifismus, gegen Autoritäten

Die Geschichte zeigt, dass es Mey ernst ist mit den Idealen der 68er, dass er aber vielleicht genauer hingesehen hat als andere. Er steht bis heute für Pazifismus, für Infragestellen von Autoritäten, für Offenheit gegenüber dem Anderen, aber er hat sich schon immer erlaubt, darauf hinzuweisen, wenn die Dinge seiner Ansicht nach aus dem Ruder laufen. Neben der Politik konnten das auch die Widrigkeiten des Alltags ("Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars") oder die Unzuverlässigkeit von Handwerkern ("Ich bin Klempner von Beruf") sein. Solche Texte brachten ihm dann andere, wenig schmeichelhafte Deutungen: "Fluchthelfer der Umweltverdrossenen", "Heintje für geistig Höhergestellte", "Heino des Dritten Programms".

Reinhard Mey hat das stets pariert, auch in Liedform ("Mein achtel Lorbeerblatt"), wohlwissend, dass ihn der kommerzielle Erfolg im linken Protestliederlager verdächtig machte. Die Kritiker sind schon lange verstummt, der Erfolg ist geblieben. Mehr als fünf Millionen Tonträger hat er verkauft. Seine Fans sind ihm treu, die Konzerte ausverkauft, obwohl er nicht dafür wirbt. Nicht ein Lied hat Mey an die Werbeindustrie verscherbelt, nicht einmal seinen Evergreen "Über den Wolken". Auch deshalb bleiben ihm die Menschen treu — weil er es sich selbst geblieben ist. Schon sein Auftreten mit schwarzer Lederjacke, Nickelbrille und Ohrring ist so anrührend anachronistisch wie absolut authentisch. Reinhard Mey ist einer der letzten Aufrechten in einem Geschäft des Flachsinns.

Es passt zu ihm, zu seiner Selbstdisziplin, dass er einen Pilotenschein hat, dass er alle zwei Jahre ein neues Album herausbringt, dass er alle drei Jahre auf Tour geht. Und dass er sein privates Glück mit Ehefrau Hella und seinen drei Kindern abgeschottet hat. Dieses Glück hat zuletzt Risse bekommen. "Das Leben hat mich mit Geschenken überhäuft, mit Glück und Liebe überschüttet und, wie um Gleichgewicht und Gerechtigkeit wiederherzustellen, auch mit dem größten Schmerz", schreibt Mey auf seiner Internetseite, über die er mit seinen Fans kommuniziert. Gemeint ist Sohn Maximilian, der seit 2009 nach einer Lungenentzündung in einem Wachkoma liegt. Ihm hat er das Lied "Drachenblut" gewidmet: "Hast dein Licht an beiden Seiten angezündet, nun ringt es flackernd um seinen Schein, mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein."

Nächstes Jahr soll ein neues Album kommen, wie stets im Mai ein neuer Mey. "Dann mach's gut" heißt es. Dass er sich selbst meinen könnte, niemand wagt es zu glauben. Noch scheint Reinhard Mey, liest man seinen Internetgruß, zum Weitermachen entschlossen: "Ich lebe, ich liebe, ich trinke auf das Leben und auf Euch, Ihr fernen Freunde!" Santé.

(RP/felt)
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