Goertz 100 Platz 7: Igor Strawinsky, "Sacre du printemps"

Düsseldorf · Von diesem Stück hat die Welt anfangs die Finger gelassen, jetzt ist es in Konzerten der Thriller schlechthin.

Goertz 100: Platz 7: Igor Strawinsky, "Sacre du printemps"
Foto: Sony

Vergessen die Ätz- und Frust-Attacken der Pariser Uraufführung von 1913 - heute genießt jedes Auditorium die heidnische Orgie wie ein Blutbad, das als Kinofilm wegen grandioser Schauspieler und fesselnder Dramaturgie einen Oscar bekommt. Igor Strawinskys Ballettmusik "Le sacre du printemps" (Das Frühlingsopfer) ist das wichtigste Werk des frühen 20. Jahrhunderts, weil es nicht nur ein Mädchen, sondern auch das überlieferte und vertraute Bild des schönen Klangs opferte. Strawinsky schrieb einmal in der "New York Times" über das Publikum jener Tage: "Zweifellos wird man eines Tages verstehen, dass ich einen Überraschungscoup in Paris gelandet habe, Paris aber unpässlich war. Bald wird es seine schlechte Laune vergessen haben."

"Sacre" beginnt denkwürdig - mit einem einsamen Solo des hohen Fagotts, einer lyrischen Linie voller Poesie und Fremdheit; bald schließen sich schwirrend die anderen Bläser an. Sie lassen noch nichts von den Schrecken ahnen, die über die Hörer kommen: Es sind Alpträume aus Dissonanzen. Heute hört man diese angeblichen Missklänge nicht mehr als monströse Heimsuchung des Ohrs, sondern als Klagelaut einer Welt, deren Leben kein Ponyhof ist, sondern im Frühling den Tod bringt. Orchester müssen rhythmisch sattelfest sein, wenn sie bei diesen gesplitterten Zeitverläufen mit ihren wechselnden Metren nicht aus der Kurve fliegen wollen.

Die Musikgeschichte ist voller zwiespältiger Bekundungen zum "Sacre", doch führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Dieses Opus ist in der Entwicklung der Musiksprache ein Meilenstein, dem viele Genres der Moderne, auch und gerade in der sogenannten U-Musik, vieles zu verdanken haben.

Hinweis: Zum Anhören der Playlist benötigen Sie einen Spotify-Konto. Einige Werke sind in der von Wolfram Goertz ausgewählten Einspielung nicht auf Spotify verfügbar. Diese tauchen deshalb nicht in der Playlist auf.

Die Plätze 6 bis 1 werden wir in den kommenden Tagen verraten und in Einzeltexten würdigen. Wie sähen Ihre "Top 100" aus? Lassen Sie uns diskutieren!

(RP)
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