Goertz' 100 Platz 4: Ludwig van Beethoven, 3. Sinfonie

Düsseldorf · Die "Eroica" aus dem Jahr 1804 war die Lieblingssinfonie des großen Komponisten.

Goertz' 100: Platz 4: Ludwig van Beethoven, 3. Sinfonie
Foto: Westminster

Als Ludwig van Beethoven als Politiker in die Welt trat, schrieb man in Wien das Jahr 1804. Mit Napoleon hatte er einen Vertrag machen wollen, diesen Vertrag dann aber für null und nichtig erklärt. Dieser Vorgang spielte sich weder musikalisch noch staatsmännisch ab, sondern auf dem Deckblatt seiner neuen Sinfonie, derjenigen Nr. 3 in Es-Dur. Die Krönung Napoleons zum Kaiser missfiel dem vormals entflammten Beethoven derart, dass er dort den - längst in Tinte prangenden - Namen Bonaparte wieder wegschabte.

Trotzdem blieb diese Sinfonie zeitlebens seine liebste, sie war ihm kostbarer als die Fünfte, die Sechste, die Neunte. Warum wohl? Weil mit dieser Sinfonie die Revolution in die Welt brandete, an die er glaubte und die er von Napoleon verraten wähnte. Dieser wild wie ein Sturm hereinbrechende Kopfsatz; die tränenlose Trauer des langsamen Satzes; die jagdbereite Aufbruchstimmung im Scherzo; das aus einem gezirkelten Variationssatz am Ende schier explodierende Finale - das ist eine Visitenkarte, die Beethoven nie mehr so furios hat drucken und verteilen lassen. Unter dieser Sinfonie steht mehr noch als etwa unter der Neunten: Ich, Ludwig! Und warum sie "Eroica" heißt? Das ist eine kleinere Geschichte, die nichts mit Napoleon, sondern mit dem (soeben gestorbenen) Prinzen Louis Ferdinand zu tun hat, dem Beethoven sich verbunden fühlte.

Beethoven hat diese Sinfonie später wie alle seine Sinfonien metronomisiert und damit festgehalten, wie er sie sich gespielt wünschte: äußerst schnell! Natürlich gibt es bis heute zahllose Dirigenten, die Beethovens Metronom oder das Vorstellungsvermögen des Komponisten für defekt halten. Nur wenige begriffen, dass diese Tempi ein utopisches Programm mit Bodenhaftung sind - denn spielbar sind sie alle, Orchester müssen sich nur anstrengen.

Die bis heute spannendste Aufnahme ist derzeit - das spricht für die Traditionstauglichkeit unseres Musikbetriebs - nur mühsam zu bekommen. Sie ist Hermann Scherchen zu danken, einem der meistgehassten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Die Kälte, die er verbreiten konnte, verwandelte sich beim Musizieren stets in ein ekstatisches Glühen, einen Furor, der alles verbrannte. 1958 spielte er die "Eroica" mit dem Orchester der Wiener Staatsoper ein. Das ist eine Aufnahme, für die sich lange Zeit nur jener Typ des Enthusiasten interessiert hat, den es nicht stört, dass sie dem Schönheitsideal entsagt. Dass der Lack fehlt. Dass man dem Orchester Widerstand anmerkt. Dass es zuweilen sogar klappert. Dass Scherchen Tempi forderte, für die es in Wien (noch) keine Tradition gab. Sein Beethoven, zur reinen Energie befreit, ist zutiefst ungemütlich.

Ja, dies ist die erregendste Beethoven-Aufnahme des 20. Jahrhunderts, als Einzel-CD leider vergriffen. Es gibt sie entweder antiquarisch, in Scherchens Westminster-Legacy-Box oder - zum Glück komplett - auf Youtube. Man darf sie aber nicht verwechseln mit Scherchens zahmer Einspielung der Beethoven-Sinfonien beim Label Tahra. die einige Jahre früher entstand. Da befand sich der Dirigent sozusagen noch nicht auf Betriebstemperatur.

Hinweis: Zum Anhören der Playlist benötigen Sie einen Spotify-Konto. Einige Werke sind in der von Wolfram Goertz ausgewählten Einspielung nicht auf Spotify verfügbar. Diese tauchen deshalb nicht in der Playlist auf.

Die Plätze 3 bis 1 werden wir in den kommenden Tagen verraten und in Einzeltexten würdigen. Wie sähen Ihre "Top 100" aus? Lassen Sie uns diskutieren!

(w.g.)
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