Eurovision Song Contest Jamie-Lee kämpft um Europas Pop-Krone

Stockholm · Heute Abend versucht die 18-Jährige, im Finale des Eurovision Song Contest in Stockholm Ann Sophies Debakel aus dem Vorjahr wettzumachen. Eine neue Punktevergabe soll es am Ende noch spannender machen. Wir haben für Sie alles zusammengefasst, was Sie für heute Abend wissen müssen.

Eurovision Song Contest: Jamie-Lee kämpft um Europas Pop-Krone
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Bunt und auffällig - diese Attribute waren dem Eurovision Song Contest (ESC) bislang in die Gene geschrieben. In diesem Jahrgang herrscht jedoch eher graues Balladen-Einerlei. Kaum ein Künstler schert musikalisch aus, kaum einer traut sich einen schrägen Auftritt zu. Bis auf eine: Als "bunt und auffällig" bezeichnet die deutsche Sängerin Jamie-Lee Kriewitz selbst ihren von japanischen Manga-Comics beeinflussten, Accessoires-verliebten Kleidungsstil, zu dem etwa ins Haar geflochtene Teddybären zählen. Was am Ende aber weniger punkig schrill als sympathisch spleenig wirkt und damit ins Gesamtgefüge passt. Ob es der 18-Jährigen heute Abend in Stockholm mit "Ghost" gelingt, die Schmach von Ann Sophies letztem Platz in Wien vergessen zu machen, wird sich zeigen. Bei den Buchmachern rangiert sie abgeschlagen im Mittelfeld.

Unangefochten vorne liegt weiterhin der russische Beitrag von Sergey Lazarev, "You Are The Only One". Sowohl auf dem Wett-Vergleichsportal "oddschecker.com" als auch auf der Fanseite "eurovisionworld.com" wird der Russe favorisiert. Auf den weiteren Plätzen liegen die ukrainische Sängerin Jamala mit "1944", Amir aus Frankreich mit "J'ai cherché" und Titelverteidiger Schweden mit Frans und dessen Lied "If I Were Sorry". Selbstverständlich können die Quoten in die Irre führen, meist aber zeigen sie einen Trend - immerhin wurden zuletzt die Siege der Schwedin Loreen (2012), der Dänin Emmelie de Forrest (2013) und des Schweden Måns Zelmerlöw (2015) von den Buchmachern richtig prognostiziert.

In Stockholm wird derlei Zahlen-Arithmetik interessiert verfolgt. Dass die Schweden den ESC künstlerisch ernstnehmen, zeigt die Erfolgsquote der Skandinavier: Inklusive Abba und "Waterloo" im Jahr 1974 stellte das Land sechsmal den siegreichen Song, fast ein Drittel aller Lieder des aktuellen 61. Jahrgangs stammt diesmal aus schwedischer Feder. Immerhin, das wird oft vergessen beim allgemeinen Show-Brimborium, ist der ESC ein Komponisten-Wettbewerb. Und Schweden hat sich eben kreativ dem Pop verschrieben. Nicht unmöglich wäre es also, dass es dem 17-jährigen Frans gelingt, Schweden erneut triumphieren zu lassen.

Allerdings wissen die Gastgeber auch mit Selbstironie zu punkten. Das Moderatorengespann, bestehend aus Sänger Måns Zelmerlöw und Comedian Petra Mede, hat in den zwei Halbfinalen bewiesen, dass sie die lockere Plauderei beherrschen. Vor allem Mede ist im Land ein Star, weil sie sich trotz chronischen Rückenleidens an die Spitze der dortigen Komikerriege gearbeitet hat. Was auch daran liegt, dass die 42-Jährige frech nach allen Seiten austeilt. Unerschrocken veräppelte die Moderatorin etwa im Januar den bei der schwedischen Filmpreisgala anwesenden US-Star David Hasselhoff, der sie hinterher erbost als Idiotin bezeichnete.

Immerhin droht den Schweden nach dem zweiten Halbfinale keine skandinavische Konkurrenz mehr. Sowohl Dänemark als auch Norwegen sind ausgeschieden, Finnland scheiterte schon im ersten Halbfinale. Was sich möglicherweise auch positiv für Jamie-Lee Kriewitz auswirken kann - die skandinavischen Fans votieren ersatzweise gerne für den deutschen Beitrag und haben so schon Lena mit zum Sieg getragen. Dass Jamie-Lee aber ausgerechnet zwischen zwei Top-Favoriten - Amir und Frans - auf Platz zehn starten muss, könnte sich als schwierig erweisen. Das bessere Los gezogen haben da Russland (Startplatz 18) und Österreich mit Startplatz 24. Überhaupt gilt die österreichische Interpretin Zoë mit ihrem auf Französisch gesungenen Lied "Loin d'ici" als Geheimtipp - die schwedischen TV-Magazine reißen sich um die elfenhafte Sängerin.

Auch Irland als klassisches ESC-Land (Johnny Logan gewann den Wettbewerb zweimal) blieb im zweiten Halbfinale auf der Strecke. Dafür schaffte es das ESC-verrückte Australien, im vergangenen Jahr zur 60. Ausgabe ausnahmsweise Gastland, sich mit Dami Im und dem Lied "Sound of Silence" für das Finale zu qualifizieren. Sieht so aus, als müsste der fünfte Kontinent zumindest musikalisch künftig Europa zugeschlagen werden. Und warum sollte nicht mal ein Aussie den Eurovision Song Contest gewinnen? Ist die ESC-Geschichte doch reich genug an Skurrilitäten.

Interessant zu sehen wird heute Abend auch sein, wie sich die modifizierte Punktevergabe auf das Prozedere auswirkt. Mit dem neuen Abstimmungsmodus soll der ESC deutlich spannender werden. Bisher waren bei der Punktevergabe die Wertungen von Jurys und Zuschauern aus den einzelnen Teilnehmerländern bereits zusammengerechnet, jedes Land konnte so seinem Favoriten maximal zwölf Punkte geben. In Stockholm sollen die Wertungen der Länderjurys und der Zuschauer getrennt vorgetragen werden. Jedes Land kann jetzt also maximal 24 Punkte an ein anderes verteilen: zwölf durch die Jury, zwölf durch die Zuschauer. Die Sprecher der einzelnen Länder tragen diesmal lediglich das Top-Ergebnis ihrer nationalen Jury vor - die restlichen Punkte werden nur eingeblendet, das spart Zeit. Die Stimmen der ESC-Zuschauer, die per Telefon, SMS oder App ihren Favoriten wählen, werden erst am Ende der Sendung von den Moderatoren präsentiert - was die Reihenfolge durchaus noch durcheinanderwirbeln kann.

Bei aller Vorfreude: Jamie-Lee Kriewitz ist auch froh, wenn der ESC-Zirkus ausgestanden ist. "Irgendwann will man auch wissen, auf welchem Platz bin ich gelandet, damit man einfach weitermachen kann", sagt sie. "Ich bin ja nicht nur Jamie, die ESC-Kandidatin - ich bin auch eine Sängerin."

Info ESC im TV: Ab 20.15 Uhr, Das Erste; Finale ab 21 Uhr; ESC-Party ab 0.30 Uhr

(isr)
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