Ed Sheeran statt Mick Jagger Abschied vom Traumberuf Rockstar

Düsseldorf · Es gibt keine Rockstars mehr. Jedenfalls keine, die diesen Titel verdienen. Statt charismatischer und abgründiger Grenzgänger wie Mick Jagger und Keith Richards regieren nun selbstoptimierte Musiker wie Ed Sheeran. Ein Abgesang.

So sehen Rockstars aus: Jagger, Richards.

So sehen Rockstars aus: Jagger, Richards.

Foto: ap

Zwei Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten: Ed Sheeran kündigte im Sommer 2017 an, die sozialen Netzwerke künftig anders zu nutzen. Er hatte sich fürchterlich über die vielen Spott- und Hasskommentare aufgeregt, die nach seinem Gastauftritt in der TV-Serie "Game Of Thrones" auf dem Twitter-Profil des Musikers aufliefen. Beleidigt gab Sheeran also bekannt: "Ich werde nun nichts mehr lesen - außer ,Harry Potter'". Rund 30 Jahre zuvor erzählte Keith Richards die Geschichte, wie er es mit Hilfe erstklassigen pharmazeutischen Kokains neun Tage lang ohne Schlaf aushielt. Bis er eine Treppe herunterstützte und nach einem Tag blutverkrustet auf der unteren Stufe erwachte. Der Schlaf, so soll Richards gesagt haben, sei himmlisch gewesen. Abgesehen davon, dass Drogen schlimm und illegal sind und Keith Richards immer auch viel Quatsch erzählt hat: Welche Story ist die bessere?

Die beiden Beispiele zeigen es, die Ära des Rockstars ist vorbei. Wir müssen uns einen neuen Traumberuf suchen. Wir können die Lederjacke in den Schrank der anachronistischen Stereotype hängen, wo schon Abziehbilder des Malers mit Baskenmütze, des Kavaliers und des Cowboys lagern. Wir leben im Zeitalter des HipHop, was nichts Schlimmes ist. Aber es bringt einen Wandel mit sich. Die Typologie der Stars umfasst heute die Diva mit der wunden Seele, den Rap-Mogul, den Soziale-Netzwerke-Promi und den Talentshow-Sieger. Rockstars gibt es nicht mehr. Oder würde jemand Chris Martin, den Sänger von Coldplay, als solchen bezeichnen? Besuchen Sie Keith Richards, solange er noch steht.

Der Siegeszug des Rockstars begann, als sich eine neue Generation nach dem Zweiten Weltkrieg nach neuen Persönlichkeiten sehnte, die sie anhimmeln konnte. Rockstars kamen aus der Masse, und sie erreichten die Spitze nicht wegen ihrer guten Erziehung oder Ausbildung. Sie hatten wilde Haare und tolle Schuhe oder gar keine Schuhe, sie bewegten sich anders und kleideten sich aufreizend, und sie hatten Aura.

Es ist schwierig zu definieren, wie ein Rockstar aussieht, aber wenn man einem begegnete, erkannte man ihn: Mick Jagger, Stevie Nicks, Robert Plant, Patti Smith, David Bowie, Debbie Harry, Axl Rose, Jim Morrison, Janis Joplin, Lemmy Kilmister. Sie glaubten an sich, sie handelten nach Instinkt. Und auf der Bühne regten sie die Imagination an. Die Fans, also wir, vermuteten, dass diese Leute ein Leben abseits unserer täglichen Scherereien führten. Wir projizierten das bessere, aufregendere Leben auf sie. Die Alternative. Und so veränderten diese Leute die Art, wie wir aussahen, sprachen und uns verhielten.

Der Musikjournalist David Hepworth hat soeben ein Buch über den Niedergang des Rockstars geschrieben. "Uncommon People" heißt es, "ungewöhnliche Leute" also. Sie seien Verführer gewesen, denen man sich indes gern hingab, schreibt er. Die Musik war ihr Lockmittel, und der Reiz war die Lust am Verbotenen. Sie waren etwas, das wir anderen niemals hätten werden können. Sie waren selbstverliebt und sexualisiert, und der Erste von ihnen ist nach Hepworths Meinung Little Richard gewesen.

Geprägt wurde der Begriff des Rockstars erst 1973, damals markierten die Rolling Stones den Punkt, an dem Rock sich vom Pop trennte. "Die Beatles wollen einem die Hand halten, aber die Stones wollen einem die Stadt niederbrennen", schrieb Tom Wolfe. Wenige Jahre zuvor war das Magazin "Rolling Stone" gegründet worden, das für die nächsten Jahrzehnte das gängige Erscheinungsbild des Rockstars entwarf. Künstler wie Mick Jagger und Bob Dylan durften Interviews nach ihren Vorstellungen gestalten. Sie inszenierten sich selbst.

Der Rockstar ging stellvertretend für seine Fans in Regionen, in die sich niemand anderes vorwagte. Er war der Korrespondent, der in den Abgrund schaute und in seinen Liedern davon berichtete. Er wusste etwas, das wir nicht wussten. Jemand wie David Bowie war nicht auf Basis einer Datenanalyse dem Konsumentengeschmack nachempfunden. Er war einfach da, er war ein Angebot, und wer eine Nähe zu ihm spürte, gab sich ihm hin. Hingabe hieß: Identifikation, Gefolgschaft durch dick und dünn und über eventuell missglückte Alben hinaus.

Der Rockstar war aber auch an den Aufstieg der Nachkriegs-Plattenindustrie gekoppelt. In den 1970er und 80er Jahren erlebte er seine Hochzeit. Die Wirtschaft lebte von der Marke des Rockstars. Und als das physische Produkt am Ende war, ging es auch mit dem Rockstar bergab. Sein Fundament war weggebrochen. Und auch die sozialen Medien, so schreibt David Hepworth, beschleunigten seinen Fall. Du kannst nicht mehr das Leben eines Rockstars führen, wenn ständig Kameras auf dich gerichtet sind, die jeden Fehltritt dokumentieren. Einst gab es Platten, Konzerte und gelegentlich private Bilder. Der Rest war Imagination und Projektion. Ein Raum, den man mit Mystik ausfüllte. Nun gibt es neben dem Hit-Zwang auch noch die 24-Stunden-Überwachung. Heute kann sich keiner mehr wie Led Zeppelin verhalten, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen. Aber Rockstars entschuldigen sich nicht.

In Zeiten der Selbstoptimierung ist kein Platz mehr für den Rockstar. Der letzte, schreibt David Hepworth, war Kurt Cobain. Als der im April 1994 starb, versammelten sich spontan trauernde Fans in dessen Heimatstadt Seattle. Einer von ihnen trug ein T-Shirt mit dieser Aufschrift: "Kurt starb für unsere Sünden."

(hols)
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