Zwischenstation Düsseldorf Deep Purple hält Hof

Düsseldorf · Eine der größten Rockbands aller Zeiten plant die Zukunft: Deep Purple will mit einem neuen Album, einem Kinofilm und einer Tour neu durchstarten.

 Roger Glover und Ian Paice von Deep Purple in Berlin. (Archivbild)

Roger Glover und Ian Paice von Deep Purple in Berlin. (Archivbild)

Foto: dpa, jka wie

Fürs erste Album ist damals das komplette Taschengeld draufgegangen. Im Elektrogeschäft - in dem der Verkäufer noch einen weißen Kittel trug - gab es hinten neben den Glühbirnen ein übersichtliches Regal mit sogenannten Langspielplatten. Und im Nachhinein muss man es als ein mittelgroßes Weltwunder bezeichnen, dass ausgerechnet das Gesuchte dort auch gefunden wurde - "Made in Japan" von Deep Purple, dieses güldene Doppel-Livealbum mit bloß sieben Liedern. Für den Rest des Monats war also kein Geld mehr da. Doch wozu auch? Schließlich verwandelte "Made in Japan" bis zum Nervenzusammenbruch der Erziehungsberechtigten das Jugendzimmer auch lautstärken-mäßig in den Konzertsaal von Osaka.

Das war Mitte der 1970er Jahre. Es war die Rock-Initiation. Nur vier Jahrzehnte später - praktisch ein Wimpernschlag der Rockgeschichte - treffen wir Schlagzeuger Ian Paice und Bassist Roger Glover. Breidenbacher Hof, eine der ersten Adressen in Düsseldorf, ein Nobelschuppen, der für Rockmusiker eher eine Provokation sein sollte.

Doch Paice, Ende 60, und Glover, Anfang 70, sind die freundlichsten Menschen dieser Welt und scheinen mit sich und der Band sehr im Reinen zu sein. Ein neues, in Nashville produziertes Album kommt in ein paar Tagen auf den Markt; dazu gibt es am Abend die Uraufführung der Kino-Dokumentation von Deep Purple, "From Here To inFinite", demnächst startet die neue Tour.

Wieder eine Abschiedstournee?

Also wieder einmal eine Abschiedstournee? Wer weiß das schon?, fragen beide zurück. Es gibt keinen Plan, aber einen großen Spielraum. "Deep Purple war immer eine Live-Rockband", sagt Paice. Und: "Wir können unsere Lieder doch nicht zu Hause spielen; das funktioniert einfach nicht."

Und dann ist schnell von Jon Lord die Rede, dem großen Keyboarder und Ideengeber der Band. Der sei dann irgendwann müde geworden, immer unterwegs zu sein und praktisch auf der Straße zu leben. Jon Lord - vor fünf Jahren an Krebs gestorben - ist irgendwie immer dabei, auch wenn es mit Don Airey einen genialen Nachfolger gibt.

Über alte Zeiten reden beide kaum. Aber nicht, weil sie es leid sind, über den berühmtesten Gitarrenriff der Rockgeschichte in "Smoke on the Water" zum tausendsten Mal zu reden. Sondern weil sie für sich noch einmal, schon wieder oder immer noch viel Zukunft beanspruchen. Demnächst mit dem Studioalbum "inFinite". Es gefällt beim ersten Hören, wird spannend beim zweiten Mal; danach ist es vor allem unglaublich. Wie ein bisschen Jazz und Blues hervorscheint, und wie doch alles druckvoll bleibt - bei "Birds of Prey" und "Roadhouse Blues", beim gefälligen "Johnny's Band" und dem von der Orgel dominierten "All I got is you". Deep Purple ist immer eine Album-Band gewesen. Das eigentlich Aufregende ist, wie sich unter all dem der markante Sound aus dem glückseligen Jahrfünft der Band Anfang der 70er legt. Der Herzschlag von "Machine Head", von "Fireball" und "Deep Purple in Rock" hämmert im Hintergrund unaufhörlich mit.

Wer erkennt schon einen Bassmann

Das ist auch der Herzschlag der Bandmitglieder. Und sie wissen es seit fast 50 Jahren und über 130 Millionen verkaufter Alben. Paice und Glover schreckt das nicht, sie machen einfach weiter. Mit der Kraft, die noch da ist; vor allem aber mit Humor. Glover erinnert sich an ein großes Konzert in Düsseldorf, als der Tourbus anschließend einfach ohne ihn zum Hotel abgefahren ist. Okay, der Bassmann wird gern vergessen. Also hat er die Straßenbahn genommen. Ob er denn angesprochen wurde? Nein, und dabei lacht er dann so laut und dreckig wie nachts in einem Londoner Pub; "kein Mensch hat mich erkannt. Wer erkennt schon einen Bassmann." Ian Paice tröstet ihn dann, wie er ihn vielleicht schon dutzende Male so getröstet hat. Deep Purple ist eben auch das - eine uralte und schrecklich nette Familie, mit allem Krach und in aller Liebe.

Davon erzählt auch die Filmdokumentation. Und man staunt, wie die Songs entwickelt werden. Nämlich meistens beim Jamen. Es gibt eine Grundidee, es gibt viel Neugier und einen Sänger Ian Gillan, der im Studio an einer Art Schreibtisch sitzt und kaffeetrinkend die Kapriolen seiner Kollegen verfolgt. Und mittendrin der kanadische Produzent Bob Ezrin, der wie ein Dirigent hin- und herspringt, diese Passage ziemlich langweilig findet und jene gnädigerweise ausbaufähig. Eine Pause wird auch gemacht, bis Ezrin ruft: "Okay, ladies and gentlemen, let's make a rock album." Ob sie wissen, dass es so etwas eigentlich nicht mehr gibt? Und dass große Musiker, die auf der Bühne ein Lied noch 15 Minuten lang entwickeln und vor sich hertreiben, im heutigen Musikgeschäft im Grunde vorsintflutlich sind? Das Störrische an Rockmusik ist ihr Überlebenswille. So lange wir spielen, hier und jetzt, leben wir.

Es gibt rührende Szenen in diesem Film. Wie den Besuch von ein paar Zwölf- bis 13-Jährigen, die in Nashville Rockmusik-Unterricht haben und für Deep Purple dann "Smoke on the Water" spielen. Wenn Ian Paice einem diese Szene erzählt, wird das Glück greifbar. Als habe sich auch dafür vieles gelohnt.

In einer anderen Filmszene sind wir bei Steve Morse, der mehrfach zum weltbesten Gitarristen gekürt wurde. Wie er seine Spielhand mit schmerzstillenden Spray bestäubt und danach die Manschette anlegt. Auch mit ihr bleiben die Schmerzen. Doch ohne sie würde es gar nicht gehen. Steve Morse lächelt und sagt: "Ich bin nicht der erste Gitarrist von Deep Purple. Doch ich möchte so gern ihr letzter sein."

(los)
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