Wagner-Festspiele in Bayreuth Tristan stirbt im Gefängnis

Bayreuth · Katharina Wagner enttäuscht bei den Bayreuther Festspielen mit einer wirren Inszenierung von "Tristan und Isolde". Es gab allerdings wenige Buhs, aber viele Bravo-Rufe. Christian Thielemann am Pult und die Sänger wurden gefeiert.

 Das Probenfoto aus dem 2. Aufzug zeigt Georg Zeppenfeld (Marke) und Stephen Gould (Tristan).

Das Probenfoto aus dem 2. Aufzug zeigt Georg Zeppenfeld (Marke) und Stephen Gould (Tristan).

Foto: dpa, kde

Wäre Wagners "Tristan" ein "Tatort" im Ersten, würde die Fernsehkritik folgendermaßen ausfallen: "Regisseurin Katharina Wagner präsentierte uns ein wirres Psychodrama, welches das Drehbuch ihres Urgroßvaters Richard ziemlich auf den Kopf stellte. Es kam zu beträchtlichen dramaturgischen Unschärfen. Wir lernten immerhin, dass ein König nicht zwingend edelmütig ist, dass er Tötungsdelikte an seinem Hof duldet und sich wie selbstverständlich die Frau nimmt, die er sich ausgewählt hat - gegen alle Widerstände. Die verführerische Filmmusik, die ebenfalls vom Urgroßvater stammt, stimmt nur in Maßen versöhnlich."

Anders als die Fernsehkritik geben die Live-Besucher im Bayreuther Festspielhaus ihr Votum bekanntlich mit größter Schnelligkeit ab. Kaum hat sich mit dem Schlussakkord das süße Gift aus der Musik verflüchtigt, zeigt sich die Lust manchen Zuschauers, diese als Heimsuchung empfundene Produktion zu ahnden. Man sieht gutbürgerliche Leute, die sich zu altrömischen Cäsaren mit wutverzerrten Mienen verwandeln und gleich Galle über Frau Wagner auskübeln möchten. Andere sind entzückt. Die dritte Fraktion - die ist in der Mehrzahl - ist von diesem bleiernen Abend dermaßen ermüdet, dass sie sich nichts als ein schnelles Helles wünscht. Vor allem muss sich der Wagnerfreund dauernd zu gedanklichen Transferleistungen bereitfinden: Er muss hinnehmen, dass die Sänger nicht das tun, was sie singen. Oft tun sie genau das Gegenteil.

Das beginnt mit dem Liebestrank. Katharina Wagner glaubt, dass die Liebe von Tristan und Isolde schon zu Beginn der Oper - beide vereint eine blutig-brünstige Vorgeschichte - so radikal, tief und frei von jeder Selbstschonung ist, dass beide eines Stimmungsverstärkers (Liebestrank) nicht bedürfen. Lust auf Exitus (Todestrank) haben sie erst recht nicht. Also kippt Tristan feierlich die Phiole mit dem Liebestrank über der Reeling des Schiffes aus, auf dem beide zu König Marke reisen (der Isolde heiraten will). Dann zerfetzen beide den Brautschleier.

Ein verrücktes Treppenhaus

Andererseits ist das gar kein Schiff, sondern ein verrücktes Treppenhaus, das der Architekturtheoretiker Piranesi komponiert haben könnte und an dem man sich mit seinen Stiegen, Aufzügen und Geländern aus wertbeständigem Aluminium nach etwa drei Minuten sattgesehen hat. In diesem Schachtelpalast ohne Zimmer legen die Sänger etliche Kilometer Gehstrecke zurück, alles freilich langsam und bedeutungsvoll. Man könnte hier ewig aneinander vorbeilaufen. Und wenn man denkt, gleich ist man da, fährt einem der Aufzug vor der Nase weg.

Manche Ideen Katharina Wagners sind fraglos reizvoll, werden aber leider nur selten vom Handwerk der Regiekunst geadelt. Wenn Brangäne (Isoldes Vertraute) in Verzweiflung gerät, bläst sie empört die Backen auf und rennt so irr umher, dass man sie einem Psychiater vorstellen möchte. Solche Manien übertragen sich offenbar: Tristans Kumpan Kurwenal stürmt im zweiten Akt - Marke hat das ungehorsame Liebespaar in seinem kaltschwarzen Privatgefängnis festsetzen lassen - dauernd gegen Eisentüren, als ob steter Anlauf das Material ermüden könne. Das hohe Paar selbst begreift Liebe als sakralen Akt und steht gern mit dem Rücken zum Publikum. Oder es baut im Gefängnis kleine Zelte, die gegen das Scheinwerferlicht der Aufseher schützen. Oder es ritzt sich an Metallstreben entrückt die Pulsadern auf.

Der König selbst trägt trotz seines senffarbenen Mantels mit Pelzbesatz und Hut ein ordinäres Springmesser bei sich, dass er bei jeder Gelegenheit aufklappt. Sind wir in Neapel oder was? Den Meuchelmord an Tristan wird trotzdem der Knecht Melot vollführen, und zwar von hinten, wenn Tristan die Augen verbunden sind. Dann packt Marke Isolde ungerührt bei der Hand und zerrt sie fort - an einen Ort, der für Isolde eine andere Form von Liebestod darstellt: die Ehehölle. Jetzt könnte sie wirklich was Hilfreiches zu trinken gebrauchen, doch Liebestrank ist leider aus.

Langweilig, einfältig

Das alles langweilt uns mit unerhörter Intensität. Wir erfahren nicht, wer diese Menschen sind, woher sie kommen und wohin sie gehen, sie gewinnen kein Profil. Mit ihnen versteinert die Zeit, statt dass sie zum Lavastrom zerfließt und sich überallhin ausbreitet. Katharina Wagner hat uns schon einen wunderbar griffigen "Holländer" gezeigt und die "Meistersinger" klug zum deutschen Alptraum dämonisiert. Die Begradigung der metaphysisch-märchenhaften "Tristan"- Parabel zum ästhetischen Thriller über Betrug und Rache begibt sich hingegen als zwanghafte Studie. Im Schlussakt - alles ist jetzt von Nebel erfüllt - leuchten über dem halluzinierenden Titelhelden magische Dreiecke auf, in denen Isolde wie eine bräutliche Madonna kauert. Am Ende zieht Marke Isolde erneut hinter sich her, als ob wir das nicht schon im zweiten Akt gesehen hätten. Nein, wie ist das alles einfältig!

Und dann die größte Enttäuschung: Katharina Wagner holt sich die Publikumsreaktion gar nicht ab. Sie wird einmal für wenige Sekunden inmitten ihres Teams ganz hinten vor den Statisten stehen; doch bis man sie als die Festspielchefin identifiziert hat, ist der Vorhang wieder gefallen.

Christian Thielemann, der Dirigent, lässt sich dagegen so oft feiern, als könne er vom Jubel nicht genug bekommen. Nun, das Orchester spielt paradiesisch, obwohl ihm im dritten Akt etwas die Farben und die Intonationsgenauigkeit ausgehen; dieses finale Defizit mag auch dem Wechselbad aus beinahe trägen Tempi und rapiden Beschleunigungen geschuldet sein.

Gould ist ein grandioser Tristan

Evelyn Herlitzius wirft eine wunderbare Hysterie in die Isolden-Partie, als wolle sie die Unbedingtheit ihrer Liebe zu Tristan allein mit den Mitteln ihrer Kehle beglaubigen. Das ist in der Höhe schon mal scharf, doch immer von fesselnder Hingabe. Stephen Gould ist ein grandioser Tristan, vielleicht der beste seit langem: Er strahlt ohne Mühe, er holt im dritten Akt unglaubliche tenorale Reserven hervor, wenn er von Madonna zu Madonna kriecht; Belcanto beherrscht er aber auch. Christa Mayer als Brangäne entlädt ihr Mitgefühl in imposanten Spitzentönen. Die schönste Stimme gehört Georg Zeppenfeld, der als Marke freilich so erhebend mit Würd' und Hoheit angetan ist, dass man ihm den rachsüchtigen Kleinkriminellen nicht glaubt.

Man glaubt hier so manches nicht - mehr als Wagners "Tristan" aushält.

(w.g.)
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