Düsseldorf Elfe mit krausem Humor

Düsseldorf · Miranda July romantisiert die Gegenwart. In ihren Filmen können Katzen sprechen und T-Shirts kriechen. Nun legt die 41-Jährige einen Roman vor: "Der erste fiese Typ" ist großartig.

Leicht verrückt und sympathisch: Miranda July
14 Bilder

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Miranda July hat ihren ersten Roman geschrieben, und darin gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur bei ihrer Therapeutin sitzt. Die Stunde ist teuer, aber Cheryl muss mal, und nun überlegt sie, ob sie zur Toilette gehen soll, die aber in einem anderen Stockwerk ist. Es würde Zeit kosten und damit bares Geld. Andererseits wäre sie sehr unentspannt, wenn sie es auszuhalten versuchte. Dilemma also. Und typisch Miranda July.

Die Kalifornierin ist 41 Jahre alt, und sie ist der Glücksfall einer Künstlerin, die sich die Gegenwart zum Thema nimmt. Man kann sie sich als eine Elfe im Clownskostüm vorstellen, die herumhüpft und mit dem Zauberstab auf Köpfe tippt und Herzen, und alles, was sie berührt, beginnt zu leuchten - allerdings etwas zu grell, als dass es angenehm wäre. Es gibt kein Hauptwerk in diesem Oeuvre. July macht Performances, tanzt, erfindet Apps, schreibt Stories, dreht Filme, und alles ist gleich wichtig. Zusammengenommen vermitteln diese Arbeiten eine Ahnung davon, wie es um unsere Zeit bestellt ist und um die Menschen in den großen Städten. Meist ist man melancholisch, wenn man July begegnet, angenehm melancholisch: happy to be sad.

"Der erste fiese Typ" heißt nun also das Roman-Debüt, und die therapiebedürftige Frau, die July von sich erzählen lässt, lebt ein Leben, das keine Uhren benötigt, weil sowieso immer alles gleich abläuft. Sie wünscht sich ein Kind, ist aber Single. Man braucht nur zwei Sätze, um zu begreifen, was los ist: "Als ich zur Tür ging, löste sich die Weltkarte von der Wand und rutschte geräuschvoll zu Boden. Nicht unbedingt ein Zeichen für irgendwas." Sie wohnt in L. A., arbeitet in einer Firma, die Selbstverteidigungs-DVDs für Frauen produziert, und verliebt ist sie in einen 20 Jahre älteren Kollegen, der davon aber nichts weiß. Cheryl Glickman ist wie alle Figuren im Werk von Miranda July eine überkultivierte Zeitgenossin, die mit viel Energie gegen Unordnung und Unvorhersehbarkeit kämpft. Und schließlich unterliegt.

Was July am besten kann, ist Menschen porträtieren, und zwar in jenem Moment, da sie sich der Differenz zwischen Selbstsicht und Wahrheit bewusst werden. Ihre Heldinnen halten immer wieder die Luft an, als ob sie so die Zeit anhalten und aus sich heraustreten könnten, um sich von oben zu betrachten. Was sie dann zu sehen bekommen, ist sozialer Slapstick, der diskrete Horror, der sich ergibt, wenn jemand merkt, dass er gar nicht so ist, wie er gern wäre.

Auch Cheryl Glickman ist so ein vergrübelter Mensch, und das Chaos bricht in ihr Leben, als sie die arbeitssuchende 20-jährige Tochter von Kollegen bei sich aufnimmt. Cheryls Welt ist plötzlich vollgestellt mit Fragezeichen, sie reagiert mit Passivität. Clee, so heißt die Mitbewohnerin, erobert nach und nach die Wohnung, drängt Cheryl in den Bügelraum, und man erinnert sich an den Satz aus Miranda Julys bester Kurzgeschichte, "Etwas, das nichts braucht": "Wir wünschten, wir wären etwas, das nichts braucht, so etwas wie ein Anstrich. Doch selbst ein Anstrich braucht gelegentlich einen Neuanstrich."

July ist Spezialistin für verspielten Tiefsinn, sie hat das Krause zu ihrer Kunstsparte gemacht, und durch ihr Gehirn ziehen windschiefe Ideen wie jene, in dem Film "The Future" ein kriechendes T-Shirt auftreten zu lassen. July trägt das Unwillkürlich-Groteske stets mit einer unwiderstehlichen Mischung aus selbstgewisser Überlegenheit und mädchenhafter Zerbrechlichkeit vor. Sie ist mit dem Regisseur Mike Mills verheiratet, das Paar hat einen Sohn. Ohne je mit dem Mainstream zu flirten, wurde July zum internationalen Kunst-Darling, und sie weiß ihre Popularität geschickt einzusetzen. In den USA, wo jüngere Künstlerinnen wie die Filmemacherin Lena Dunham oder die Sängerinnen Taylor Swift und Lorde einen zeitgemäßen Feminismus erproben, ist sie bestens vernetzt. Die Genannten gehören zu ihren Unterstützerinnen und empfehlen Julys Werke über Twitter.

Julys Kunst besteht nun darin, Einblicke in Charaktere zu geben und diese dabei ihre eigene Perspektive schildern zu lassen, die kaum sichtbaren, aber existenziellen Versehrungen. Leben bedeutet bei ihr, beharrlich einer Sehnsucht nachzuspüren. In "The Future" etwa sieht man ein Paar von Anfang 40, das eine Katze adoptieren möchte. Die beiden haben progressive Jobs, abends sitzen sie zumeist an ihren Laptops auf dem Sofa, und alles könnte gut sein in einer Welt der edlen Oberflächen und totalen Vernetzung. Und doch wünschen sie sich fort, und die Katze ist dafür das Symptom. Am Ende sieht man sie in jeweils anderen Leben, gemeinsam mit Mann, Kind und Haus beziehungsweise als Umweltretter, und obwohl sie vorher viel geredet haben, konnten sie keine Worte finden dafür, dass sie in sich selbst gefangen waren, von sich besessen und trotz WLAN-Verbindung isoliert.

Auch Cheryl Glickman hat einen Zustand im Bauch, aber kein Bild im Kopf, und erlöst wird sie erst, als ihre neue Mitbewohnerin schwanger ist. Cheryl nimmt sich des Kindes an, sie löst sich von biologischen Zwängen und fühlt sich als Mutter. Sonnenstrahlen brechen zwischen den Zeilen hervor: Der Roman wird zur Familien-Geschichte - was möglicherweise auch daran liegt, dass July Passagen des Buchs beim Stillen ins Handy diktiert hat. "Vielleicht geht es in der Liebe genau darum - nicht nachzudenken", heißt es da. "Man erkennt sich in einer Frau wieder, die zu sein man nie vorhatte", hat Lena Dunham über dieses Buch gesagt, und das trifft es genau. Wenn man den Bauchknoten des Fremdschämens gelöst hat, lernt man die Hellsichtigkeit und Menschenfreundlichkeit dieses Textes zu schätzen.

Ob sie die nicht in Anspruch genommenen 30 Minuten ihrer Sitzung jemandem spenden könne, fragt Cheryl Glickman ihre Therapeutin. Die verneint. Dann geht Cheryl und kehrt nicht mehr zurück. Sie ist geheilt.

(hols)
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