Düsseldorf Michael Moore marschiert in Europa ein

Düsseldorf · Dieser Film ist eine Liebeserklärung an Europa, an uns also, und gedreht hat ihn Michael Moore. "Where To Invade Next" heißt die neue Dokumentation des Oscar-Preisträgers ("Bowling For Columbine"), wobei der Amerikaner das Genre ja ziemlich selbstbewusst und individuell definiert. Der 61-Jährige provoziert und agitiert in seinen Filmen, ganz bewusst tut er das. Er ist parteiisch und ungerecht und dabei zumeist sehr lustig. Hier ist er nun auch noch empathisch und warmherzig, und das macht diese Produktion so besonders.

Amerika habe unheimlich viele Kriege geführt, aber keiner habe das Land weitergebracht, bilanziert Moore zu Beginn. Deshalb übernimmt er den Job, er marschiert als Ein-Mann-Armee in europäische Länder ein, und erobern möchte er Werte, Errungenschaften und Gepflogenheiten, die die USA zu einem besseren Ort machen könnten. Zuerst reist er nach Italien ("berühmteste Einwohner: Jesus, Super Mario, Don Corleone") und trifft dort auf ein Paar, das jedes Klischee erfüllt: Der Mann trägt ein Poloshirt in lila, dazu Schal, und er trinkt Wein aus einem grünen Kelch. 80 Urlaubstage habe er angesammelt, erzählt er, und dann zeigt er Fotos vom letzten Karibikurlaub mit seiner Frau. Ungläubigkeit ist die schärfste Waffe bei Moores friedlicher Invasion, also fragt er staunend: "Der Staat bezahlt euch wirklich den Urlaub?" Jaja, entgegnen die Italiener, und auch freie Tage im Heiratsfall, 13. Monatsgehalt und Mutterschutz. Moore schneidet Strandszenen in Rimini dagegen, dazu kommentiert er aus dem Off: "Die Italiener sehen immer aus, als hätten sie gerade Sex gehabt."

So zieht er weiter. Von jedem Land zeigt er zunächst eine Karte und listet die "Fun Facts" auf. In Frankreich wurden demnach Demokratie, Existenzialismus und Blow Job erfunden. Moore zeigt einen Koch, der Jakobsmuscheln als Vorspeise anrichtet. "Für meine Verhältnisse ein Vier-Sterne-Koch", sagt Moore, aber in Wirklichkeit ist dieser Mann Küchenchef der Grundschule im ärmsten Dorf Frankreichs. Eine Stunde nehmen sich die Schüler dort jeden Tag Zeit fürs Mittagessen, vier Gänge am Tisch und als Dessert acht Sorten Käse. Keines der Kinder ist übergewichtig, alle trinken Wasser statt Cola, und dagegen hält Moore Szenen von daheim: dicke Menschen, die aus 1,5-Liter-Humpen trinken und Burger mit den Händen essen. "Die armen Kinder", sagt der französische Koch, als Moore Fotos von Gerichten zeigt, die in US-Highschools serviert werden.

In Deutschland ("Fun Facts: keine") besucht er die Firma Faber-Castell, um etwas über Gewerkschaften zu erfahren. Und weil in Nürnberg nicht nur Bleistifte produziert werden, "sondern früher auch mal Dokumentarfilme, ,Triumph des Willens' von Leni Riefenstahl etwa", beobachtet Moore den Geschichtsunterricht einer Schule: Unfassbar und so toll, dass dort immer noch der Holocaust aufgearbeitet werde, findet er. Das erste Sklavereimuseum in den USA sei übrigens erst 2015 gegründet worden.

Moore tritt nassforsch und tapsig zugleich auf. Er pflücke in Europa nur die Blumen, am Unkraut sei er nicht interessiert. Natürlich ist das eine "Mockumentary", eine fiktionale Dokumentation also, im Grunde eine Satire, politische Clownerie. Aber die Botschaft an Europa, die sich darin versteckt, ist doch wahr: Ihr lebt in einer Kultur der Menschlichkeit und Lebenslust. Seht zu, dass ihr sie bewahrt.

(hols)
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