Düsseldorf Mensch, Bambi

Düsseldorf · Der Klassiker von Walt Disney aus dem Jahr 1942 ist nach langer Zeit wieder auf DVD erhältlich. Das Wiedersehen ist ein Fest.

Eigentlich sieht man gar nichts, außerdem ist das ja bloß ein Trickfilm, ein ziemlich alter zumal, und trotzdem bekommt man bei dieser Szene ganz schmale Lippen. Bambi ist da mit seiner Mutter unterwegs, die Mutter wittert die Jäger, und sie ruft: "Lauf, Bambi, lauf schneller, sieh nicht nach hinten." Also rennt Bambi, und hört nicht den Schuss, der da fällt, und es sieht nicht die schwarzen Vögel aufsteigen, und als es in der Höhle angekommen ist, sagt es: "Wir sind sicher, wir sind außer Gefahr." Aber das ist falsch, Bambi irrt, die Mutter kommt nämlich nicht, und als es sie draußen sucht, tobt ein Schneesturm; die Landschaft verschwimmt, und die Kälte tut weh. Plötzlich steht sein Vater da, der Fürst des Waldes, er sagt etwas, sehr gravitätisch, und da weiß dann jeder Bescheid: "Du brauchst auf deine Mutter nicht mehr zu warten."

"Bambi" aus dem Jahr 1942 gibt es nun wieder auf DVD, und wer mal versucht hat, für seine Kinder einen Disney-Klassiker aus der eigenen Jugend zu besorgen, sei es "Das Dschungelbuch" oder den "König der Löwen", der weiß, dass das manchmal nicht so einfach ist. "Bambi" gehört zur sogenannten "Diamond Edition", darunter fasst der Unterhaltungskonzern Erfolgstitel, die nur alle paar Jahre für eine kurze Zeit zu haben sind und rasch wieder vom Markt genommen werden. So hält Disney+ das Interesse wach und bewahrt sich die Möglichkeit, Produktionen erneut ins Kino zu bringen. "Bambi" jedenfalls war jahrelang nicht greifbar.

Nun kann man also wieder sehen, was für ein großartiger Film das ist, wie viel da drinsteckt - ein ganzes Leben nämlich. Die ersten 30 Minuten gehören zum Schönsten, was man je auf einer Leinwand sah, die frühen Szenen aus dem Leben im Wald. Da ist die Maus, die sich mit einem Tautropfen wäscht. Und die junge Ente, die mit dem Fuß die Temperatur des Sees fühlt und sich schließlich gegen das Schwimmengehen entscheidet. Und dann die Vorstellung von Bambis Freunden: Kaninchen Klopfer und Stinktier Blume. Das ist so herzlich, es geht bisweilen nah an die Grenze zum Kitsch, aber doch nie darüber hinaus. Die Zeichner hatten sich im Studio einen Zoo aufgebaut, sie studierten die Bewegungen der Tiere, und die übertrugen sie auf Papier. Wie nah am Leben das ist, sieht man an der Eule: Wie sie ihren Kopf wendet, ist mit nahezu wissenschaftlicher Genauigkeit dargestellt.

"Bambi" ist der fünfte Spielfilm von Walt Disney nach "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (1937), "Pinocchio" (1940), "Fantasia" (1940) und "Dumbo" (1941). Die zivilen Filmprojekte lagen nach Kriegseintritt der USA auf Eis, nur an "Bambi" durfte weitergearbeitet werden. Disney entwickelte dafür die Multiplan-Kamera, mit der man über Zeichentrick-Landschaften wie im Realfilm schwenken konnte. Man schickte einen Fotografen nach Maine, und nach dessen Aufnahmen entwarf man die Hintergründe für die Waldszenen. Weil sich vor den vielen Details, vor Blättern, Moosen und Früchten also, die Tiere selbst jedoch kaum mehr abhoben, ging man auf den Vorschlag des chinesischen Zeichners Tyrus Wong ein, keine konkreten Dinge zu zeigen, sondern atmosphärisch zu arbeiten, auf Licht und Farbe zu setzen. Dieses Verfahren gibt dem Film seine märchenhafte Note.

Schon in den ersten Bildern geht von "Bambi" eine enorme Ruhe und Wärme aus. Die Macher deuten lediglich an, formulieren nie aus, sie finden Symbole und Sinnbilder. Aktuelle Disney-Produktionen wirken dagegen geradezu hektisch und verquatscht und vor allem: viel zu lang. "Bambi" erzählt mit nur 1000 Worten Dialog in 65 Minuten eine existenzielle, ewig gültige Geschichte. Zum Vergleich: Der Kino-Hit "Cars" (2006) dauert 116 Minuten, "Eiskönigin - Völlig unverfroren" (2013) 101 Minuten.

"Bambi", das sich an der Buch-Vorlage des Österreichers Felix Salten aus dem Jahr 1923 orientiert, kommt im Grunde ohne Handlung aus; der Film wird durch die Jahreszeiten geordnet und wirft Schlaglichter auf verschiedene Lebensalter. Und gleich nach der für viele, die den Film als Kinder im Kino sahen, traumatischen Muttertod-Szene zieht der Frühling durch die Bilder. "Es gibt kaum jemanden, der im Frühling nicht schwer verknallt ist", sagt die Eule. Wie Verliebtsein denn ist, wollen Bambi und Klopfer wissen, und die Eule entgegnet, dass man dann weiße Mäuse sehe. "Für mich kommt das nicht in Frage", sagt Bambi, aber dann lernt es Feline kennen, und der Wald wird zum Wolkenkuckucksheim.

Es läuft ständig Musik in diesem Film, Edward H. Plumb hat sie komponiert, und er holte sich Inspiration bei Maurice Ravel. In der deutsche Synchronfassung aus dem Jahr 1950 wurde Bambi von Frank Elstner gesprochen, aber diese Version richtete sich vor allem an ältere Zuschauer. Kindgerechter ist die aktuelle Synchronisation aus dem Jahr 1973. Sie wurde auch beibehalten, nachdem der Film aufwendig restauriert worden ist.

Vielleicht lag es am Krieg, ansonsten kann man sich nicht erklären, warum "Bambi" zunächst nur wenige Zuschauer fand und als Flop galt. Bald merkten die Menschen indes, dass dieser Film etwas Magisches hat, etwas Universelles, dem man sich nicht entziehen kann, wenn man aus Fleisch und Blut besteht: ein Tierfilm über den Menschen. Inzwischen gilt "Bambi" als einer der 50 erfolgreichsten Filme.

Als einer der schönsten ohnehin.

(hols)
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