Mehr Techno als Klassik

Auf seinem neuen Album "All Melody" verschaltet Pianist Nils Frahm die Orgel mit dem Drum-Computer.

Früher nahm Nils Frahm seine Alben im Schlafzimmer auf. In einem Altbau im Berliner Wedding hatte der Pianist sein Studio eingerichtet und dort die Stille vertont. Es gibt Aufnahmen, die zeigen, wie er nachts auf Socken an seinen Songs herumtüftelt, und zwischendurch geht er in die Küche und kocht Spaghetti. Nach einem Dutzend Platten ist Nils Frahms neues Album darum gewissermaßen wieder ein Debüt. Der Musiker ist umgezogen, er hat sich im ehemaligen DDR-Funkhaus in Köpenick einen holzvertäfelten Sendesaal umgebaut, er hat ein Extra-Mischpult anfertigen lassen, und es sieht alles ganz anders und weitläufiger aus als noch vor ein paar Jahren unterm Hochbett. "All Melody" heißt das neues Album, aber die Musik ist immer noch gut.

Man sollte diese Platte anhören, solange es draußen noch sehr kalt ist. Sie macht einem warm ums Herz, mindestens 30 Grad. Körpermusik ist das, und überhaupt: mehr Techno als Klassik. Nils Frahm hat Orgel, Drum-Computer und Loop-Stationen verschaltet. Früher machte er solcherlei Experimente um vornehmlich drei, vier Klavier- und Orgelspuren übereinanderzustapeln und hier und da leicht zu verfremden, man höre sich etwa noch einmal seine tollen Alben "Felt" und "Spaces" an. Heute stellt Frahm das elektronische Gerät gleichberechtigt neben die Tasteninstrumente, "All Melody" ist Ambient, Minimal und Klavierkonzert in einem.

Gleich den ersten Song "The Whole Universe Wants To Be Touched" lässt Frahm gar mit Chorgesang beginnen, - hat er noch nie gemacht - und das anschließende "Sunson" mündet, nach reichlich Sphärenläufen, in Beat-Dauerschleifen. Gedämpftes Klöppeln ohne Schärfen. Das klingt wie House aus dem Nachbarhaus.

Das einzige Piano, das Frahm für die Platte verwendete, ist denn auch eine Mini-Ausführung, Model Pianette, das er einst für 50 Euro in Dänemark kaufte. Und im Beiheft zur Platte lässt er wissen, dass er sein eigenes Prinzip gebrochen habe, nämlich jenes, auf Soloplatten keine Gäste zuzulassen. Doch als der Chor erst einmal eingeladen war, standen die Türen offen. Ein Dutzend Gäste hat er schließlich versammelt, Frahm hat sich ein Expeditionsteam zusammengestellt. Gemeinsam erforschen sie neue Welten.

(kl)
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