Mehr als Gasometer

Oberhausen ist die Wiege der rheinischen Industrie. Gleichzeitig beherbergt sie zwei bekannte Ausstellungsorte und ein einzigartiges Museum. Wer sich einen Tag Zeit nimmt, entdeckt, dass die Großstadt an der Emscher sich mit ihren kulturellen Angeboten nicht verstecken muss.

Die Stadt Oberhausen ist ein Ort, an dem man zweimal hinschauen sollte. Denn zwischen Bahnschienen und Kanälen, reichlich Grün, schon lange stillgelegten Schächten und Industriedenkmälern bietet sie Besuchern mehr als nur den Konsumtempel des "Centro"-Einkaufszentrums oder Konzerte in der "König-Pilsener"-Arena.

Auch für wenig technikaffine Menschen lohnt sich ein Rundgang durch das Rheinische Industriemuseum des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Das Museum besteht in Oberhausen aus der ehemaligen Zinkhütte Altenberg, den stillgelegten, historischen Bahngleisen vier und fünf des Hauptbahnhofs und dem Peter-Behrens-Bau, der gleichzeitig das Museumsdepot ist. In den Hallen der Zinkfabrik entfaltet sich die beeindruckende und anschauliche Dauerausstellung "Schwerindustrie". Sie beleuchtet die 150-jährige Historie der Fabrik und führt in einem gut anderthalbstündigen Rundgang durch die Firmengeschichte Krupps und den Aufstieg der Stahlindustrie bis hin zu ihrer Digitalisierung. Es gibt eine Audioführung für Erwachsene und Kinder, die Ausstellung macht aber auch Spaß, wenn man sie ganz frei entdeckt.

Höhepunkte sind - neben einem Schmelzofen, funktionierenden Fräsmaschinen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und einer 120-Millimeter-Feldhaubitze aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg - die Dampflokomotive aus dem Jahr 1942 und ein zehn Meter hoher und 53 Tonnen schwerer Schmiedehammer. Interessante, aber etwas körnige Filmausschnitte, die auf kleinen Bildschirmen in der Nähe laufen, erklären die Exponate. Vieles lässt sich anfassen (gut für Kinder, die auf dem ausgiebigen Rundweg das Interesse verlieren könnten) oder im Betrieb beobachten, wenn ein Mitarbeiter des Museums etwa zeigt, wie eine Drehmaschine Späne aus einer Stahlsäule fräst oder mit lautem Knall auf einem mehr als 70 Jahre alten Metallprüfgerät eine Stahlprobe zerreißt.

Der Rundgang in der Haupthalle widmet sich bis zu seinem Ende, an dem das Wirtschaftswunder und die künstlerische Nutzung von Stahl behandelt wird, in großen Teilen auch dem Einfluss, den die technische Revolution auf die Gesellschaft hatte. Die Verquickungen des Unternehmens Krupp mit dem NS-Staat werden erklärt, ebenso die Verklärung der Arbeit, der massenhafte Einsatz von Zwangsarbeitern in der Kriegsproduktion und der Gestapo-Terror, der auch in Industriebetrieben herrschte.

Eine Stätte des Gedenkens finden Besucher auch im Schloss Oberhausen: Das zu Beginn des 19. Jahrhundert errichtete und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaute Gebäude birgt neben der Ludwig-Galerie eine Gedenkhalle. Ein etwa halbstündiger Rundgang vermittelt Geschichten der Deportation von Oberhausener Bürgern und zeigt die Hintergründe des "Stolperstein"-Projekts des Berliner Künstlers Gunter Demnig. Den größten Teil des Schlosses macht die renommierte Ludwig-Galerie aus, in der alle vier Monate eine neue Schau aus den Themenbereichen Fotografie, Comic und Karikatur sowie Strukturwandel der Region zu sehen ist.

Aktuell und noch bis zum 17. September läuft dort die Foto-Ausstellung "Finding the Unexpected - Sam Shaw". Der New Yorker Fotograf (1912-1999) erlangte vor allem durch seine Star-Porträts wie die von Marilyn Monroe, John Wayne und weiteren Hollywood-Größen Bekanntheit. Neben diesen sind auf den drei Etagen der Galerie auch Schwarz-Weiß-Bilder von den Reisen Shaws zu sehen, ebenso Szenen aus Sport, Alltag und Politik. Kinder können einen Quiz-Rundgang machen, bei dem sie sich Details aus den Fotos merken müssen.

Die Räume der Galerie sind über eine Treppe im Inneren und durch die sogenannte "Vitrine" außen zu erreichen: ein Glasanbau, der die beiden Flügel des Gebäudes verbindet und Ergebnis einer Sanierung im Jahr 1996 ist. Von ihr aus lässt sich der Innenhof überblicken, der von der Panoramagalerie - einem kleineren, aber dennoch eindrucksvollen Ausstellungsraum -, dem Museumsshop und einem Restaurant mit überraschend großem Biergarten eingefasst ist.

Wenige Schritte entfernt betritt der Besucher den 1898 angelegten Kaisergarten, dessen Wiesen in den Sommermonaten viele zum Sonnenbaden nutzen. Er ist der älteste Park Oberhausens und wurde zu Ehren Wilhelms I. benannt. Wer sein Auto abstellen will, findet in der Nähe günstige Parkplätze und kann nach einem Besuch in der Galerie und einem Spaziergang durch den Park noch einen Abstecher in das Tiergehege zu Alpakas, Hirschen und Wollschweinen machen.

Das Wahrzeichen Oberhausens ist vom Kaisergarten aus in einer Viertelstunde zu Fuß (oder fünf Minuten mit dem Auto) zu erreichen: der Gasometer. Schon von der Autobahn ist der 177 Meter hohe Gasspeicher aus dem Jahr 1927 zu sehen, in ihm befindet sich die höchste Ausstellungshalle Europas. Wer in der Ludwig-Galerie ein Kombiticket gekauft hat, wird für 13 Euro Eintritt mit der wegen großen Interesses bis 30. November verlängerten Ausstellung "Wunder der Natur" entlohnt.

Die Schau zeigt großformatige Naturfotos, elektronenmikroskopische Aufnahmen und Filme, detailreiche Bilder von Insekten, Fischen, Primaten und Raubtieren. Kleine Texthäppchen auf den Schildern liefern zu jedem Bild zwei, drei wissenswerte Fakten, eine Soundkulisse aus Walgesängen und Waldgeräuschen entführt den Besucher an den Aufnahmeort des Fotos. Den industriellen Charakter hat der Hohlraum des Gasometers bewahrt: Stahlträger schießen kreuz und quer aus dem Boden, die Gäste können zwischen ihnen hindurchsteigen, sie umlaufen oder sich an den vorgezeichneten Rundweg durch die weitläufige Ausstellung halten.

Am beeindruckendsten ist das, was den Rundgänger auf der dritten Etage erwartet: eine 20 Meter große, über den Köpfen der Betrachter hängende Kugel. Rundum werfen Projektoren auf ihn Satellitenaufnahmen des Erdballs, die Wolkenbewegungen und den Wechsel von Tag zu Nacht zeigen. Im Besucherraum sind Bänke wie in einem Amphitheater aufgeschichtet, wer sich an der Natur-Ausstellung sattgesehen hat, kann sich hier niederlassen und zu sphärischen Klängen und schummrigem Licht der Weltkugel beim Drehen zuschauen. Ein Fahrstuhl führt vom obersten Raum zur Aussichtsplattform auf dem Dach des Gasometers, sportliche Besucher nehmen die Metalltreppe für den Weg herunter - Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

(bur)
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