Luther und die Kirchenspaltung (8) Die heftigen Folgen der Reformation

Luther ließ kaum jemanden neben sich stehen, und auf seine Reformation folgten blutige Reaktionen. Heute sehen auch Katholiken Luther positiv, und mit den übrigen reformatorischen Traditionen gibt es gute Beziehungen.

 Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider (l) erteilt 23.9.2011 den Schlusssegen des Gottesdienstes in Erfurt. Am zweiten Tag seines Deutschlandbesuchs traf Papst Benedikt XVI. im Augustinerkloster in Erfurt mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen. (Archivbild)

Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider (l) erteilt 23.9.2011 den Schlusssegen des Gottesdienstes in Erfurt. Am zweiten Tag seines Deutschlandbesuchs traf Papst Benedikt XVI. im Augustinerkloster in Erfurt mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen. (Archivbild)

Foto: Norbert Neetz

Es war der 23. September 2011, der zweite Tag des letzten Deutschlandbesuchs von Papst Benedikt XVI. Im Kapitelsaal des Erfurter Augustinerklosters hatten sich die Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu einer Begegnung mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche versammelt. "Für mich als Bischof von Rom ist es ein tief bewegender Augenblick, hier im alten Augustinerkloster zu Erfurt mit Ihnen zusammenzutreffen", sagt Benedikt XVI. "Wir haben es eben gehört: Hier hat Luther Theologie studiert. Hier hat er seine erste heilige Messe gefeiert." Und dann würdigt der bayerische Papst, dass Luther Zeit seines Lebens von einer einzigen Frage umgetrieben wurde: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" "Theologie war für Luther keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott", sagt Papst Benedikt.

Die Episode vom letzten Papstbesuch macht deutlich, wie sehr sich das Lutherbild in der katholischen Kirche seit den Jahren der Reformation verändert hat. Dass der Theologieprofessor auf dem Papst-Thron die Ernsthaftigkeit von Luthers Glauben und seine Suche nach Gott derartig würdigte, wäre 100 Jahre zuvor kaum denkbar gewesen. "Für manche Katholiken ist Luther heute schon fast zu einem gemeinsamen Kirchenvater geworden", schreibt der frühere Ökumenebeauftragte des Vatikan, Walter Kardinal Kasper. "Luther war ein Reformer, kein Reformator." Er habe nicht daran gedacht, Gründer einer separaten Reform-Kirche zu werden. "Sein Ziel war die Erneuerung der katholischen Kirche, und das heißt, der gesamten Christenheit, vom Evangelium her".

Doch Luther war auch Apokalyptiker, sah sich selbst in der Endzeit - und betrachtete den Papst als Antichrist. Was dazu führte, dass er im Grunde nicht dialogfähig war. Es folgten die Gegenreformation und die teils blutige Verfolgung von Lutheranern in katholischen Territorien. Als sich Ende des 19. Jahrhunderts Protestanten in Rom zum Gottesdienst treffen wollten, mussten sie das in der Preußischen Gesandtschaft tun - so wie heute noch in manchen islamischen Staaten Gottesdienste nur deswegen möglich sind, weil die Geistlichen als Botschaftsangestellte ins Land gelassen werden. Erst in den letzten 100 Jahren wandelte sich der katholische Blick auf Luther.

"Auch wir Katholiken verdanken den Reformatoren wichtige Impulse zur Erneuerung des kirchlichen Lebens", betonte der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr kürzlich bei einer Begegnung von Vertretern des Rates der EKD, der Deutschen Bischofskonferenz und der beiden jüdischen Rabbinerkonferenzen. "Martin Luther hat den Glauben an Jesus Christus wieder in das Zentrum der Verkündigung gerückt und das Wort Gottes, wie es in der Bibel bezeugt ist, zur Norm kirchlichen Handelns gemacht", sagt Neymeyr. "Die Reformatoren haben das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen und damit auch die Bedeutung des christlichen Glaubens für den Alltag in der Familie und im Beruf in einer Weise herausgearbeitet, die die christliche Frömmigkeit bis in die Gegenwart prägt." Diese zentralen Einsichten der reformatorischen Theologie habe das Zweite Vatikanische Konzil aufgenommen und für die katholische Kirche fruchtbar gemacht. Deshalb könne man auch aus katholischer Sicht die Reformation positiv wertschätzen.

Wiewohl natürlich eines bleibt: die Kirchenspaltung. "Die Reformation hat zur Spaltung der westlichen Christenheit geführt und in der Folge zu Konfessionskriegen, zur Vertreibung konfessioneller Minderheiten und zu wechselseitigen religiösen und sozialen Abgrenzungen", sagt Neymeyr. "Die Erinnerung an die Reformation ist für uns deshalb schmerzlich." Womit die römisch-katholische Kirche keineswegs alleine dasteht: Denn neben sich ließ Luther kaum eine Lehre stehen. Zwischen den Reformierten um den Züricher Prediger Huldrych Zwingli und dem Wittenberger Martin Luther kam es immerhin 1529 zu einem Religionsgespräch in Marburg. Doch die unterschiedlichen Auffassungen über das Abendmahl kamen nicht zueinander. Luther hielt an der traditionellen Lehre von der leiblichen Gegenwart Christi im Brot und Wein des Abendmahls fest, Zwingli verstand die Abendmahlsfeier als symbolische Gedächtnishandlung. Bis heute bestehen zwischen Lutheranern und Reformierten diese Unterschiede - erst die 1973 entstandene Leuenberger Konkordie machte es möglich, dass es innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland, die reformierte und lutherische Kirchen vereint, ein gemeinsames Abendmahl gibt. Freilich nicht, weil man die Unterschiede einfach bei Seite gewischt hätte - sondern, weil sie heute nicht mehr als "kirchentrennend" gelten.

Schärfer noch waren indes die Unterschiede zu den sogenannten Täufern, die seit ihrem Entstehen von Lutheranern und Calvinisten verdammt wurden und deren Nachfahren etwa die heutigen Mennoniten sind. Sie lehnen die Kindertaufe ab und praktizieren die Gläubigentaufe. Zudem gehen sie auf Distanz zum Staat, wandten sich schon zu Zeiten Luthers gegen das Schwören von Eiden - und gerieten damit nahezu zwangsläufig in den Konflikt zur staatlichen Obrigkeit, in den Tälern der Schweiz ebenso wie in den Fürstentümern und Städten des Heiligen Römischen Reichs. Ihre Nachfahren, vor allem die von Menno Simons gegründeten Mennoniten, gedenken im Laufe der nächsten Jahre denen, die in der Reformationszeit ums Leben kamen - zum Beispiel den Teilnehmern der sogenannten Märtyrersynode von Augsburg: Dort trafen sich 1527 Angehörige aller wichtigen Täufergruppen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Weil ihr Treffen verboten war, kamen sie konspirativ in den Häusern der Augsburger Bürgerschaft zusammen. Die meisten der Teilnehmer starben kurze Zeit später einen blutigen Tod.

Wie stark diese Zeit bis heute nachwirkt, zeigte sich bei einem anderen kirchenhistorischen Ereignis: Seit 1996 gewähren sich Lutheraner und Mennoniten ökumenische Gastfreundschaft beim Abendmahl, und 2010 fand ein gemeinsamer Gedenk- und Versöhnungsgottesdienst statt, bei dem die Lutheraner ihre Schuld bekannten, um Vergebung baten und mit den Mennoniten gemeinsam an die Märtyrer der Reformationszeit erinnerten. Ein Gottesdienst, der in den folgenden Jahren zum Vorbild werden sollte - etwa für das Ökumenische Reformationsgedenken, zu dem im vergangenen Herbst Papst Franziskus und die Spitzen des Lutherischen Weltbundes in Lund zusammenkamen. Auch wenn das Jahr 2017 keine vollständige Einheit der vor 500 Jahren im christlichen Abendland entstandenen Kirchen bringt - die gegenseitigen Verwerfungen der Reformationszeit sollten nun endgültig Geschichte sein.

(RP)
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