Düsseldorf Mario Adorf begann als stummer siebter Zwerg

Düsseldorf · Der 85-jährige Entertainer rührte sein Düsseldorfer Publikum mit Erzählungen aus seinem Leben.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich im Düsseldorfer Schauspielhaus kein freier Platz mehr findet. Mario Adorf hat dies mit seiner Lesung "Schauen Sie mal böse" bewirkt. Lesung? Ach was. Das Publikum erlebte eine künstlerische Darbietung der allerfeinsten Art. Der Schauspieler mit dem weißen Schopf und der kraftvollen Stimme ist ein begnadeter Erzähler.

Seine Pointen weiß er meisterhaft zu setzen. Mit beiläufigem Schmunzeln und kleinen Sprechpausen verschafft er seinen gebannten Zuhörern Gelegenheit zum Applaus. Der fließt reichlich, vom ersten Moment an. Warum er diese lange Tour mit seinen 85 Jahren noch mache, anstatt Rosen zu züchten oder zu reisen? Es sei die Sehnsucht nach dem Theater: "Filme sind Konserven. Aber auf der Bühne, da wird frisch gekocht."

Bevor Mario Adorf erscheint, erinnern Film-Ausschnitte an seine berühmten Rollen. Das letzte Bild aber zeigt ihn als Knaben in kurzen Hosen auf dem Tretroller. An diese frühe Kindheit in Mayen knüpft er an und berichtet vom Waisenhaus "Spitälchen", in das die alleinerziehende und berufstätige Mutter den temperamentvollen Jungen gab, weil sie ihn kaum bändigen konnte. Dort macht der Vierjährige seine erste Theatererfahrung - als stummer siebter Zwerg in "Schneewittchen". Dabei geriet ihm sein Bart aus Verbandswatte in den Hals. Er fürchtete zu ersticken, hustete und heulte, was im Publikum sowohl Heiterkeit als auch Mitleid erzeugte. Später schlüpfte er als Pimpf in die braune Uniform, blies stolz die Fanfare und brachte es bis zum Zugführer. Auch als Klassenclown tat er sich hervor.

Man würde sich aber täuschen, merkt Adorf an, wenn der Weg zum Schauspieler die logische Konsequenz daraus gewesen wäre. Dazu bedurfte es einiger glücklicher Zufälle und einer guten Portion Beherztheit, zur richtigen Zeit auf sich aufmerksam zu machen. Etwa als Regieassistent an der Zürcher Oper. Eine Grippewelle hatte fast alle Sänger lahmgelegt. Der pfiffige Mario konnte die Partien auswendig, gab bei der Generalprobe abwechselnd den Bariton, den lyrischen Tenor und den Bass. Wie sich das anhörte, führt er in allen Tonlagen auch im Schauspielhaus vor.

Viele Anekdoten garniert er mit Monologen aus Dramen und zeigt dabei beeindruckenden Körpereinsatz. Es sei ihm immer eine Befriedigung gewesen, die Menschen zum Lachen zu verführen, sagt Mario Adorf. Heitere Rollen waren ihm die liebsten und womöglich der eigentliche Grund, Schauspieler zu werden. Der Befehl "Schauen Sie mal böse" geht auf Robert Siodmak zurück. Der Hollywood-Regisseur kam 1957 nach Deutschland und suchte den Hauptdarsteller für seinen Film "Nachts, wenn der Teufel kam". Adorf sprach vor, übte den finsteren Blick und bekam die Rolle des Mörders, der er seinen Durchbruch verdankt.

Bei allem Amüsement, darunter einer hinreißenden Lehrstunde in ansteckendem Lachen, schlug Mario Adorf auch leise, nachdenkliche Töne an. Ganz still wird es, als er vom Sterben seiner Mutter spricht, das er aus der Schauspieler-Perspektive wahrnimmt: "Wie würde ich es machen, wenn ich einen todgeweihten Menschen darstellen müsste?"

Adorf erinnert an Kollegen wie Therese Giehse, Will Quadflieg, Horst Tappert, imitiert den trinkfesten Heinrich George oder den bewunderten Fritz Kortner. Er plaudert gefürchtete Hänger und Versprecher aus und auch, in einer köstlichen Zugabe, den peinlichen "Toilettenfehler" auf der Bühne - ihm sei das Missgeschick einer versehentlich offenen Hose ebenfalls schon passiert.

Nach zwei prallen und faszinierenden Stunden wird Mario Adorf vom verzückten Publikum mit Ovationen im Stehen belohnt und mit Beifall überschüttet.

(RP)
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