Das Buch hinter dem Netflix-Erfolg Die Magie des Aufräumens von Marie Kondo

Düsseldorf · Die Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“ sorgt für Aufsehen. Zu verrückt sind ihre besonderen Tipps für eine ordentliche Wohnung. Der Erfolg der Japanerin gründet sich auf ihren Ordnungsratgeber „Magic Cleaning“. Doch der ist ganz fürchterlich, findet unser Kritiker.

 Marie Kondo in ihrer eigenen Netflix-Serie.

Marie Kondo in ihrer eigenen Netflix-Serie.

Foto: Netflix/Screenshot/Aufräumen mit Marie Kondo

Marie Kondo hat ihren Ordnungs-Ratgeber "Magic Cleaning" schon drei Millionen Mal verkauft. Dabei ist er ganz fürchterlich.

Ich hätte Marie Kondo gern einmal zu uns eingeladen, aber das war, bevor ich ihr Buch las. Sie kennt sich aus mit dem Aufräumen, sie gilt als beste Aufräumerin der Welt. Ihr Ratgeber "Magic Cleaning" hat sich drei Millionen Mal verkauft. Die Menschen hängen bei Vorträgen an ihren Lippen, und in den USA gibt es sie als Verb: "to kondo" heißt so viel wie entrümpeln, Klarheit schaffen. Das "Time"-Magazin führt sie in der Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Und auch ich hätte gern Tipps von ihr bekommen, wie ich Ordnung halte in einer Wohnung mit zwei Berufstätigen und kleinem Kind. Dauernd liegen Fußballbilder herum, Trikots, CDs, Bücher. Und Krümel.

Weil die 30-jährige Japanerin bestimmt nie Zeit hat, kaufte ich also ihr Buch. Es erscheint in Deutschland bereits in vierzehnter Auflage. Am Anfang klingt alles noch ganz gut. Dass man in einem Rutsch aussortieren möge, schreibt Kondo, und dass man früh morgens beginnen und nicht zimmerweise vorgehen solle, sondern nach Kategorien von Dingen: erst Kleidung, dann Bücher, Papiere und Kleinkram. Zwei Drittel des Hausstandes seien Ausschuss, behauptet sie. Die Methode heißt "KonMari", das ist der Spitzname von Marie Kondo, und sie verspricht, dass man nie mehr aufräumen müsse, wenn man einmal auf diese Weise tabula rasa mache.

Schräg wird es indes, wenn sie schreibt, dass man sich von jedem Gegenstand verabschieden solle. Ich möchte aber zu einem Paar Socken nicht sagen: "Du hast deinen Zweck erfüllt, Danke." Marie Kondo wünscht sich, dass man das Aufräumen als "das große Fest des Lebens" betrachtet. Sie schreibt, sie habe 80 Prozent ihres Lebens mit Aufräumen verbracht, in der Schule war sie Beauftragte für Ordnung im Bücherregal. An diesem Punkt fängt Marie Kondo an, mir leid zu tun.

An anderer Stelle schreibt sie, dass es für sie schwer sei, mit Menschen zu leben, die keine Ordnung halten. Sie erzählt von "militanten Aufräumphasen", in denen sie Streit mit ihren Eltern bekam. Kinder tauchen im Buch nicht auf.

Am schlimmsten ist das Kapitel, das sie dem Bücher-Wegwerfen widmet. Sie selbst besitze nur 30 Bände, schreibt sie stolz. Wer ein Buch kaufe und es nicht direkt lese, werde es nie mehr lesen und könne es also weggeben, schreibt sie. Und auch Bücher nach der Lektüre ins Regal zu stellen, sei unsinnig; man lese es sicher kein zweites Mal, das besage zumindest die Statistik. Also: Weg damit. Jedes Buch müsse man in die Hand nehmen und sich fragen, ob es einem Freude mache. Und falls die Antwort "nein" sei, solle man es aussortieren.

Der Begriff "Freude" ist bei Kondo allerdings stark entstellt. Freude machen in diesem Kosmos Dinge, die durchsichtig sind, glatt und egal. Ich hingegen glaube daran, dass ein Buch etwas ausatmet, Geist, und jeder, der sich in der Nähe befindet, atmet ihn ein, nimmt ihn auf - er muss das Buch dafür nicht mal gelesen haben. Anders gesagt: Ich hänge der Illusion an, dass ein Junge kein schlechter Kerl werden kann, wenn er in einem Zimmer mit den Werken Astrid Lindgrens lebt. Das mag naiv sein und romantisierend, ist mir aber lieber als Kondos These: "Aufgabe eines Buches ist es, Informationen weiterzugeben."

Manchmal druckt Kondo Briefe von Leuten ab, die bei ihren Vorträgen waren oder sie als "Organizing Consultant" gebucht haben. Eine Dame schreibt, dass sie so glücklich sei mit ihrem entrümpelten Leben, dass sie ihren Mann auch in den Wind geschossen habe. Nun fühle sie sich vollends von der Vergangenheit befreit.

Der Erfolg Kondos fällt in eine Zeit, da sich viele Menschen überfordert fühlen. Es gibt zu viele Möglichkeiten, Wahrheiten und Waren. Marie Kondo verspricht Handreichungen in einer Welt des Too-Much, sie ist das Putzerfischchen des Kapitalismus, Tatortreiniger des Konsumterrors. Sie räumt Dinge weg, die man angeschafft hat, obwohl man sie nicht braucht. Dabei macht sie alles gleich: Wer seine Wohnung nach ihrer Methode gestaltet, wer also Kleidung nicht auf Bügel hängt, sondern aufrollt und in den Schrank stellt, damit sie besser "relaxen" könne, wer die Räume freimacht, damit der Blick der Bewohner an nichts haften bleibt, nähert sich einer global verallgemeinerten Vorstellung von Ordentlichkeit an, einer kühlen Business-Ordentlichkeit. Wie die Einrichtung der "Starbucks"-Filialen am größten gemeinsamen Nenner von Gemütlichkeit ausgerichtet ist, entspricht eine "gekondote" Wohnung dem vereinheitlichten Ideal von "sauber".

Wichtig sind freie Sichtachsen und Böden sowie blanke Wände. Individualität geht flöten, Lebensspuren werden verwischt, Kondo ist extrem unsentimental. Sie ist eine Diktatorin der guten Absicht. An einer besonders irritierenden Stelle beschreibt sie, wie sie sich beim Aufräumen fühlt: Ihr Körper beginne zu pulsieren, "man gleitet in einen ruhigen, meditativen Zustand".

Ich möchte nun doch nicht mehr, dass Kondo zu uns kommt. Wir würden uns nicht verstehen, und sie fühlte sich sicher auch nicht wohl bei uns. Der letzte Satz von "Magic Cleaning" geht übrigens so: "Das wahre Leben beginnt nach dem Aufräumen." Wie man hört, ist ihr Mann Philosoph, vielleicht ja Fachmann für die Stoiker. Soeben soll das Paar ein Kind bekommen haben.

Ich freue mich schon auf Kondos nächstes Buch.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich 2015.

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