"Nature & Politics" Thomas Struths unheimliche Erlebniswelten

Essen · Im Essener Museum Folkwang sind jetzt unter dem Titel "Nature & Politics" 34 großformatige Arbeiten des Fotokünstlers zu sehen.

Menschen haben auf seinen Fotos selten etwas zu suchen. Und wenn sie gelegentlich dann doch auftauchen, kapiert man sofort, warum sie nicht dazugehören - zur Welt. Und das heißt diesmal: zur Fotowelt des Thomas Struth.

 Thomas Struth.

Thomas Struth.

Foto: dpa, mb vfd

Am leichtesten ist diese Unversöhnlichkeit auf "Semi Submersible Rig" zu sehen, ein Fotomonstrum in der Größe von 2,80 mal 3,5 Metern, das den Bau einer Bohrinsel an der Küste Südkoreas zeigt. Feuerrot hebt sich der Koloss von Ufer und See ab. Im Mittelalter wäre das eine trutzige Burg gewesen; im 21. Jahrhundert ist es der Tempel unseres Zukunftsglaubens, der sich aus Energie speist und Wohlstand verheißt. Ein Titan, der noch gezügelt wird: Dicke Stahltrosse halten ihn, und da sie am unteren Bildrand ihren Ausgang nehmen, ist es, als hielte der Betrachter die Bohrinsel. Was für ein Machtspektakel! Und zugleich welche Illusion! Denn seine Bedeutung wird dem Menschen ausnahmsweise schon im Bild erklärt. Zwei mickrig kleine Arbeiter wuseln im Materiallager der Werft, und wer genau hinsieht, erkennt, dass sie mit ihren Fahrrädern hantieren. Ihr Werk - die Plattform - wird schon bald Millionen Tonnen von Öl fördern. Während ihnen selbst, klein und ohnmächtig, nur ein Fortbewegungsmittel des 19. Jahrhunderts verfügbar ist.

Einer der größten Fotografen der Welt

Mit Thomas Struth stellt jetzt in Essen einer der renommiertesten Fotografen der Welt sein Werk aus - wie man es halt so sagt, wenn die Bedeutung eines Künstlers zutiefst spürbar, nicht aber messbar ist. Im Folkwang Museum zeigt er mit 34 Fotos fast so etwas wie das Resümee seiner Arbeit, 34 Manifeste, 34 Kapitel einer Geschichte unserer schönen neuen Welt, 34 kleine moralische Akte.

Thomas Struth - gebürtig aus Geldern, bei den Bechers in die Fotoschule zu Düsseldorf gegangen und jetzt in Berlin lebend - ist ja keiner, den das Leben und die Bekämpfung von Sinnlosigkeit gleichgültig lässt. Als Zeitgenosse sei er einer, der sich dafür interessiert, was geschieht, sagt Struth. Das meint er nicht journalistisch. Also fühlt er sich weder dem Tag noch dem Ereignis verpflichtet. Er dokumentiert die Zeit und mit ihr vielleicht auch das Epochale. Dazu passt sein Bekenntnis, dass er "eigentlich selten fotografiert". Was sich wie ein ulkiges Bonmot anhört, ist im Grunde sein künstlerisches Programm. Es geht ihm nicht um das gute, aktuelle Bild; sondern um den richtigen Ort und die richtige Stunde, die das richtige Bild fordern.

Struth nimmt viel auf sich

Dafür reist Thomas Struth dann um die halbe Welt und sieht dort große und kleine Hoffnungen und gehörige Anstrengungen, die Zukunft zu bewahren. Der Wunsch nach Erlösung ist immens, und richten soll es die Technik. Struth zählt sich nicht unbedingt zu einem Feind der Technik. Ihn irritiert darum auch weniger die Faszination für den Fortschritt, sondern vielmehr die Faszination vom Fortschrittsglauben. Mit ihm wird der Mensch von der Illusion überwältigt, dass alles machbar, manches lösbar und vieles heilbar scheint.

Dazu gehört das Foto aus der Berliner Charité, das einen Menschen - von Plastik und Schläuchen umhüllt - während einer Roboter-Operation zeigt, dazu passt ebenso das Bild vom Stellarator im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald im Kabel- und Schalterdschungel; dazu gehört das Öl-verschmierte Walzwerk von Thyssen-Krupp und komischerweise auch das grellbunte Bild einer Geisterbahn, das mit Hängebrücke, Spinnweben und obskuren Höhlen wie eine Fahrt durch den menschlichen Körper erscheint.

Neue Erlebniswelten

In unheimliche Erlebniswelten entführen die Bilder. Aber die unheimlichsten sind wie immer die, die auf den ersten Blick diskreter, weniger kompliziert erscheinen. Wie das Foto vom Aquarium in Atlanta. Es gehört zu den wenigen Arbeiten, die der 61-Jährige inszenierte. Mütter mit ihren Kindern bat er, sich vor die Panoramascheibe zu setzen. Doch dann ist daraus wieder einmal viel mehr entstanden. Ein Foto, auf dem die Weltgestalter von Morgen interessiert und gelangweilt die Natur betrachten. Die ist hinter einer Scheibe und wird dort auch immer bleiben.

Die Trennung von Natur und Mensch ist perfekt und endgültig. Was bleibt, ist ein schönes Bild. Mehr noch: die schöne Erinnerung daran, dass es vielleicht einmal anders gewesen ist. Wer die Farben der Kleider (die Struth nicht choreografiert haben will) mit den Farben der Meeresfische vergleicht, wird eine erstaunliche Übereinstimmung feststellen müssen; sowohl in den Farbtönen als auch in der Verteilung der Farben. Vor dem Glas ist hinter dem Glas. Und wir, vor dem Riesenfoto stehend, sind davon nicht ausgenommen. Unsere Teilhabe an der Welt endet stets vor der Scheibe.

Der Titel der Schau ist unerheblich. "Nature & Politics" könnte auch anders heißen und stimmig bleiben. Wichtig ist allein die Weite des Oberbegriffs. Denn Struths Fotos sind Allegorien, allgemeingültig und zeitlos. Man sollte die Schau nicht verpassen. Weil der, der das Museum verlässt, ein anderer sein wird als jener, der es betrat.

(los)
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