Neue Erkenntnisse Liebte Goethe Anna Amalia?

Düsseldorf/Weimar (RP). Der Forscher Ettore Ghibellino behauptet, Goethe habe ein Liebesverhältnis mit der verwitweten und zehn Jahre älteren Herzogin Anna Amalia gehabt. Eine Sensation? Martin Walser hält die These für "absurd".

 Die Statue zeigt den Dichterfürst Goethe. Sie steht auf dem Theaterplatz in Weimar.

Die Statue zeigt den Dichterfürst Goethe. Sie steht auf dem Theaterplatz in Weimar.

Foto: ddp

Düsseldorf / Weimar (RP). Der Forscher Ettore Ghibellino behauptet, Goethe habe ein Liebesverhältnis mit der verwitweten und zehn Jahre älteren Herzogin Anna Amalia gehabt. Eine Sensation? Martin Walser hält die These für "absurd".

Mensch Goethe! Nicht die verheiratete Charlotte von Stein soll in Weimar Geliebte des Dichterfürsten gewesen sein, sondern die Fürstin höchstselbst: die verwitwete Anna Amalia. Das letzte große Staatsgeheimnis scheint geknackt zu sein, fehlt nur noch der Beweis. Den gedenkt der Deutsch-Italiener Ettore Ghibellino (39) am Freitag nachzureichen. Mit der Präsentation von Äußerungen einiger Zeitzeugen aus dem höfischen Umkreis will er nämlich belegen, dass die Herzogin heimliche Adressatin vieler Liebesbriefe von Goethe gewesen sein könnte. Das sind sehr viele Konjunktive.

So heiß ist noch keine alte These aufgekocht worden. Vor fünf Jahren schon hat der Jurist und intuitiv vorgehende Hobby-Forscher sein Buch veröffentlicht, das neu aufgelegt wurde und jetzt eifrig diskutiert wird. Höchste Weihen bekam der Exeget nun mit einer Stellungnahme der Klassik Stiftung Weimar, die zwar den Ansatz Ghibellinos als historisch fragwürdig bezeichnet und die Art seines Umgangs mit Quellen kritisiert — aber allein diese Rügen adeln schon den Kühnen.

Selbst Martin Walser (81) gab seinen Befund. Im Gespräch mit unserer Zeitung nannte er die These "absurd" und "abenteuerlich". Außerdem gab Walser, der zuletzt mit seinem Goethe-Roman "Ein liebender Mann" einen Bestseller geschrieben hat, zu bedenken: "Wenn Forschern langweilig ist, werden sie manchmal heimgesucht von solchen Gespenstern." Nach seinen Worten sei Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein kompliziert genug gewesen; zu Anna Amalia aber habe es bloß eine "gute, freundschaftliche Beziehung" gegeben.

Damit sollte eigentlich der Vorhang dieses Sommertheaters gefallen sein; die Frage bleibt, warum er sich überhaupt gehoben hat. Dass sich der "Spiegel" des alten Themas aktuell mehrseitig widmet, mag als Brandbeschleuniger gedient haben. Zudem ist es ein Tabubruch, unserer Klassik mit flapsigen Worten beizukommen und zu erklären, "dass zwischen Goethe und der Herzogin etwas lief". Holla, da traut sich einer was, auch mit dem Rat an alle Forscher, manchmal "von der Lebenserfahrung auszugehen". Am Ende wird aus Ghibellino fast ein Mini-Robin-Hood. Denn auf die Frage, warum er die vermeintlichen Liebesgeschichten nicht auf sich beruhen lasse, sagt er: "Das kann ich nicht zulassen."

Auch wenn fast alle Forscher nur müde abwinken und darauf verweisen, dass viele Verehrungsformeln nur schwärmerische Codes, nicht aber echte Liebesschwüre seien, so Heike Spies vom Düsseldorfer Goethe-Museum, so wird die Story von Goethe in Love dennoch nicht allzu bald staubiges Aktenmaterial.

Denn die Geschichte spielt sich auch — vielleicht am buntesten — in unseren Köpfen ab. Sie macht aus dem "ollen" Goethe einen echten Teufelskerl, dem nicht nur literarische Potenz zuzusprechen ist. Nächtliche Gänge zwischen Goethes Gartenhäuschen an der Ilm und dem Schloss sind denkbar, Briefe werden mit brennender Feder geschrieben, Liebesschwüre in Holzstämme geritzt. Mann o Mann. Nur mit der Wahrheit hat das nichts zu tun.

Wer die deutsche Klassik nicht als stilles Wasser, sondern prickelnd schätzt, sollte seinen Blick auf eine ganz andere Dame richten — auf Luise von Hessen-Darmstadt. Die kam als Gemahlin von Großherzog Carl August 1775 nach Weimar, wie Goethe. Der Dichter war da 26 Jahre alt und die neue Regentin 18. Wie grandios Goethe Luise gefunden haben muss, davon erzählt der zweite Akt seines Dramas "Torquato Tasso", wenn der junge Dichter die junge Prinzessin zu betören sucht: "Das göttlichste erfuhr ich nur in dir." Alles scheint da möglich, denn: "Erlaubt ist, was gefällt." Und doch erfahren wir aus ihrem Munde sogleich das Ende aller Illusion: "Erlaubt ist, was sich ziemt."

So ist das Leben. Wenn aber Luise die heimlich Umworbene war, so kam Anna Amalia nur eine Rolle zu: die der vermeintlichen Schwiegermutter.

(RP)
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