Kunst-Raumschiff im Acker

Der Künstler Thomas Schütte hat unweit von Langen Foundation und Insel Hombroich eine private Skulpturenhalle errichtet. Dort wird er Werke von Bildhauerkollegen ausstellen und seine Kunst lagern. Am 10. April ist Eröffnung.

 Der Künstler Thomas Schütte.

Der Künstler Thomas Schütte.

Foto: Roland Weihrauch

Von weitem schon macht man den markanten Bau mit geschwungenem Dach aus. Sieht fast aus wie ein Raumschiff, das im Namen der Kunst auf einem Acker gelandet ist. Neben der Langen Foundation eine neue Landmarke, ein weiterer Solitär. Von dem aufgeworfenen Hügel aus blickt man in die Ferne: Im Süden dampfen die Kraftwerkstürme, im Norden erhebt sich die Skihalle. Drumherum heile Welt. Agraridyll. Schönheit pur. Die Vermählung von Natur und Kunst.

Die Skulpturenhalle Neuss ist ein vom Künstler initiiertes, inspiriertes und privat finanziertes Ausstellungshaus für Bildhauerei. Eine Streichholzschachtel mit gewölbtem Pringle-Kartoffelchip als Dach stellte sich Thomas Schütte für das Ausgangsmodell zurecht. Spielerisch wuchs die Halle zu einer differenziert formulierten Konstruktion, in der sich das Nachdenken über Inhalt, Funktion und Gestalt ausdrückte. Es folgten drei Jahre Planung, zwei Jahre Bau. Der Zeitplan sitzt. Am 10. April ist Eröffnung.

Schütte gilt aktuell als einer der international wichtigsten und erfolgreichsten Bildhauer - Letzteres gemessen an den Preisen, die seine Werke auf dem Kunstmarkt erzielen. Jüngsten Auktionsergebnissen zufolge haben Liebhaber für seine großen, etwa drei Meter hohen Bronzeskulpturen mehr als drei Millionen Euro bezahlt, für eine "Bronzefrau" anderthalb Millionen und für den "Wicht" immerhin knapp eine halbe Million.

Der 61-jährige Oldenburger lebt und arbeitet seit dem Studium (1973-1981) in Düsseldorf; im Hafen teilt er sich ein Atelier mit Tony Cragg. Fritz Schwegler und Gerhard Richter waren seine Meister in der Kunstakademie. Schütte ist ein eigensinniger, eigenbrötlerischer, widerständiger Kandidat der Kunst, der den Mainstream verachtet und nie bedient hat.

Im schicken Düsseldorf unterwegs, fällt er als Nonkonformist im Shabby-Look regelrecht auf. Meist ist er mit dem Fahrrad unterwegs, trägt eine Kappe auf dem Kopf, fast immer hat er eine Zigarette in der Hand. Auf den ersten Blick mag er verhuscht, nervös wirken. Weit gefehlt. Sein Wille ist eisern, seine Strategie wohl kalkuliert. Wenn er sich ein Projekt in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es durch wie diese anspruchsvoll und ästhetisch aufwendig gestaltete Halle.

Man fragt sich: Warum nimmt ein Künstler überhaupt mehr als fünf Millionen Euro in die Hand für das Errichten und Betreiben einer öffentlichen Ausstellungshalle? Es muss eine Herzensangelegenheit sein, einen Ort zu entwickeln, an dem Reflexion möglich sein soll, auch das Nachdenken über die soziale Position des Künstlers. Außerdem soll an diesem landschaftlich faszinierenden Ort das eigene Werk aufbewahrt werden. Schütte beschäftigt sich offenbar mit dem Tod, im Interview mit dem "Guardian" hat er 2012 zur Bedeutung seines künstlerischen Schaffens gesagt: "Es sind Botschaften, dass ich noch lebe." Zuletzt hat er sich gefragt: "Was wird in zwanzig Jahren aus meinem Erbe?" Als Vater von drei Kindern will er den Nachlass geregelt wissen. Dazu hat er die Thomas-Schütte-Stiftung gegründet, die die Halle nicht nur errichtet, sondern auch betreibt. "Die Stiftung ist dazu da", sagt er, "dass nicht irgendwann mein Werk und seine Erlöse mehrheitlich dem Finanzamt zufließen."

Schütte, der von sich in einem Interview behauptet hat, dass er ein Künstler sei, der die Zeit totschlage, und als sein derzeitiges "Lieblingshobby" das Häuserbauen angibt, macht und investiert dies alles nicht für sich alleine. Es ist ein Geschenk an die Kunst, ihre Akteure und ihre Bewunderer. In der Halle, die einen Dreiklang mit Langen Foundation und Insel Hombroich formt, werden Bildhauerkollegen gezeigt; zur Eröffnung ist es der 2003 gestorbene italienische Vertreter der Arte Povera, Mario Merz. Es werden immer solche sein, die er wertschätzt. Auf Merz folgt Richard Deacon, das steht schon fest. Ein kleines Team wird den öffentlichen Betrieb inklusive Bibliothek organisieren, darunter ein Kurator.

Sein eigenes Werk packt Schütte vorerst ins Lager. Er braucht viel Platz, denn er hält die Kunst zusammen, gibt nur einen von ihm bestimmten Teil zum Verkauf und kann so selbst entscheiden, ob und welche Leihgaben er in Ausstellungen geben will. "Es ist selten, dass ein Künstler so viele eigene Sachen hat und nicht alles so schnell wie möglich verkauft und nur Reste im Lager behält", sagt er. Das freut ihn. Freilich muss man sich das leisten können. Die Kunst ernährt ihn mehr als gut. Er ist privilegiert - nur drei Prozent der Künstler in Deutschland können das von sich behaupten. Schütte verkauft am liebsten an Menschen, die er sich selbst aussuchen kann. Dass die Preise derart in die Höhe geschnellt sind, ist ihm selbst unerklärlich. "Früher haben mich die hohen Preise nie interessiert" sagt er im Gespräch mit dem "art"-Magazin, "bis vor zwei, drei Jahren. Jetzt habe ich nichts mehr dagegen."

Eigentlich schade, dass in der Ausstellungshalle nicht auch der Bauherr gewürdigt wird. Gibt es doch viel zu entdecken. Das Werk des Bildhauers und Zeichners ist so breit und vielfältig, dass man vergeblich nach einer verbindenden Handschrift sucht. In einer Zeit, in der Figuration verpönt war, hatte er sie wiederbelebt - das war ein Alleinstellungsmerkmal. Kalkül sowie die hohe psychische Erregbarkeit des Künstlers orchestrieren ein vielklingendes Oeuvre, das die Gegenwart kommentiert und das Haptische nie aus dem Blick verliert. Schütte modelliert die Wirklichkeit unter seinem Blick und nach seinem Maßstab. Material macht ihn an. Das gibt er weiter. Was man sieht, glaubt man auch zu fühlen.

Die britische Presse nannte den Künstler zu Recht einen altmodischen Modernen - sieht man auf Großskulpturen wie die Frauenbronzen oder auf "Vater Staat", einen Giganten, für dessen Gesicht Finanzminister Schäuble Modell gestanden haben soll. Leichter, inniger und flüchtiger wirken die Drucke, Fotos oder Wasserfarbzeichnungen. In krakeliger Handschrift hat der Künstler Titel auf Papier geschrieben: "Thema verfehlt, setzen sechs" ist zu lesen, an anderer Stelle "Holy shit".

Besonders liebt er seine architektonischen Modelle. Begehbare Behausungen baut er Sammlern auf ihr Grundstück. "One man House" heißen sie, "Teehaus" oder "Ferienhaus für Terroristen". Bei den Bauten ist ihm wichtig, dass sie realisiert werden, dass ihr Fundament fest in der Erde steht. So können sie einem Menschen Bodenhaftung verleihen, der in seinem Leben oft ein Zweifler und Grübler war.

Wäre aus Thomas Schütte nicht ein Künstler geworden, dann sicherlich ein Baumeister.

(RP)
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