Serie Junge Künstler Im Rheinland (2) Kunst aus Giftgas

Bonn · Eben erst hat Louisa Clement ihr Studium bei Andreas Gursky abgeschlossen. Doch im Kunstbetrieb hat sie längst einen Namen.

 Louisa Clement in ihrem Arbeitsraum. Die schwarzen Glasklumpen sind als Abfall bei der Entschärfung chemischer Waffen aus Syrien entstanden.

Louisa Clement in ihrem Arbeitsraum. Die schwarzen Glasklumpen sind als Abfall bei der Entschärfung chemischer Waffen aus Syrien entstanden.

Foto: Ulrich Baumgarten

Die wahren Abenteuer sind im Kopf. Deshalb braucht die 27-jährige Bonner Künstlerin Louisa Clement kein wirkliches Atelier: keine Leinwand und keinen Pinsel, keine Steinblöcke und keinen Meißel. iPhone und Laptop genügen ihr als Handwerkszeug. Der Arbeitsraum in ihrer Bonner Wohnung dient lediglich zum Ausprobieren: Wie ordne ich Bilder zueinander? Wie wirkt ein skulpturales Ensemble auf dem Boden?

Vor wenigen Wochen erst hat Louisa Clement ihr Studium beim Fotografiekünstler Andreas Gursky an der Düsseldorfer Akademie abgeschlossen. Jetzt ist sie auf einmal freie Künstlerin. Doch fremd ist ihr dieses Dasein nicht, denn sie hat bereits Erfahrung. Ihre Biografie umfasst etliche Einzel- und Gruppenausstellungen, zwei Preise und das Max-Ernst-Stipendium der Stadt Brühl. Es war mit einer Ausstellung im dortigen Max-Ernst-Museum verbunden. Davon können andere junge Künstler nur träumen.

Louisa Clement erzählt, dass sie bereits als Kind viel gemalt hat, nach dem Abitur sechs Semester lang in Karlsruhe Malerei und Grafik studierte und sich dann bei Gursky in Düsseldorf bewarb. Ein "sehr gutes Gespräch" mit ihm, ein gutes mit den Studierenden seiner Klasse - die junge Künstlerin war aufgenommen und begann mit dem Übermalen von Fotos. Louisa Clement ist voll des Lobes über ihren Lehrer: "Er hat mir Mut gemacht, in die reine Fotografie zu wechseln. Und er lehrt einen viel Vertrauen in die eigene Arbeit."

Die ist naturgemäß auch mit Flops verbunden. In solchen Fällen war Gursky immer "sehr ehrlich und konstruktiv". Louisa Clement kam "irgendwann in ein gutes Fahrwasser" und bekam ein Gespür dafür, "was geht und was nicht". Manchmal, so sagt sie selbstkritisch, ist sie zu spontan, zu sehr begeistert von dem, was sie gerade macht. Doch das hat sie im Griff.

Louisa Clements Thema sind Zwischenräume, auch zeitliche. Überall entdeckt sie Lücken, zum Beispiel beim Bahnfahren. Jahrelang war sie Pendlerin. Jedesmal verspürte sie den Augenblick, in dem sie das Zugfahren einfach nicht mehr ertragen konnte. "Nach zwei Stunden hat man nichts mehr zu tun", sagt sie. Dann blickte sie nur noch zwischen den Sitzen durchs Abteil - und fotografierte. Daraus ist eine bemerkenswerte Serie entstanden, der man auf den ersten Blick kaum anmerkt, dass sie ausschließlich Details der Innenausstattung eines Zuges enthält.

In einer anderen Arbeit der Künstlerin veranschaulicht der Ladefehler eines iPhones das Warten. Unterschiedlich gefärbte, an einer Wand angebrachte Rechtecke zeugen davon, wie sich die Bildersuche bei Google verzögert. Zwischenzustände sind Louise Clements Thema, auch in philosophischem Sinne: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Die Künstlerin hat dazu manches gelesen. Wie viel Gedankliches fließt in ihre Arbeiten ein, wie viel Körperliches, Sinnliches? Sie beschreibt das Verhältnis so: "Ausgangspunkt ist immer der Bauch, aber es ist viel Kopf dabei."

Auch ein auf den ersten Blick rein ästhetisches Ensemble aus unregelmäßigen schwarzen Glasklumpen hat solche Kopfarbeit erfordert, genauer: Recherche. Die sieben übergroßen Krümel sind Überbleibsel chemischer Waffen aus Syrien. Aufgrund eines Nato-Beschlusses hat die Bundeswehr die auf dem Nervengift Sarin basierenden Waffen in Deutschland entschärft. Die Glasklumpen gelten als ungefährlich und werden jetzt hierzulande im Straßenbau verwendet. Es ist vielleicht nichts dagegen einzuwenden, doch kaum jemand weiß davon. Louise Clement stellt die Klumpen in den Raum und überlässt dem Betrachter, wie er damit zurechtkommt. Am 13. September beginnt in der Kölner "Fuhrwerkswaage" eine Ausstellung, in der sie ihre Arbeit im Großformat zeigen wird: mit vier Tonnen des schwarzen Glases. Louise Clement versteht das durchaus als politischen Akt; denn, so sagt sie, "Kunst ist immer politisch".

Weitere Ausstellungen stehen bevor. Am 16. Oktober beginnt im Kölner Ausstellungsraum Jagla eine Schau mit dem Titel "der versuch die Unendlichkeit zu erfassen oder die Erfahrung dass meine Zeichnung begrenzt ist". Im nächsten Jahr wird Louisa Clement einen Studienaufenthalt in der Cité internationale des Arts in Paris verbringen, einer Stiftung, in der sich Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zum Austausch und zur Weiterbildung treffen.

Nicht nur organisatorisch, auch künstlerisch kreisen Louisa Clements Gedanken schon um die Zukunft. Zurzeit, so sagt sie, befasst sie sich mit sakralen Räumen, speziell mit der Frage: Woran glaubt man heute? "Das werden die nächsten Dinge", sagt sie, "und sie werden skulptural sein."

Die Arbeit geht weiter - mit iPhone, Laptop, einem Kopf voller guter Ideen und dem Bauchgefühl, mit dem es jedes Mal beginnt.

Die Serie im Überblick

(B.M.)
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