Düsseldorf Kraftwerk unterliegt im Streit gegen Pelham

Düsseldorf · Der Rapper hatte unerlaubt einen Titel der Gruppe gesampelt. Nun muss der Fall neu aufgerollt werden.

Kraftwerk unterliegt im Streit gegen Moses Pelham
Foto: ap

Kraftwerk scheint wieder mal die Zukunft der Popmusik mitzugestalten - sozusagen. Eine Tonsequenz der Düsseldorfer Pioniere des Techno-Pop ist Anlass für das Bundesverfassungsgericht, die Rechtsprechung zum Sampling zu kippen. Es handelt sich um drei Takte aus dem Stück "Metall auf Metall" vom Album "Trans Europa Express" aus dem Jahr 1977. Diese zwei Sekunden sind der Nucleus jeder Spielart elektronischer Musik: Techno und HipHop wären nicht denkbar ohne diese Komposition.

Der Rapper und Produzent Moses Pelham hat das Stück 1997 in seinem Studio mehrfach aneinandermontiert und daraus eine Endlosschleife gebastelt, die er als Chassis für das Lied "Nur mir" seiner Künstlerin Sabrina Setlur benutzte. Kraftwerk-Gründungsmitglied Ralf Hütter geht seit 2004 gerichtlich dagegen vor. Er stamme aus einer Generation, die ihre Musik selbst gemacht habe, sagte er. Mit seiner gesamten Energie habe er das Stück als junger Mann geschaffen. Pelham hätte um Erlaubnis bitten müssen. Er zitierte das siebte Gebot: "Du sollst nicht stehlen." Der 25 Jahre jüngere Pelham argumentierte mit der künstlerischen Freiheit: Kunst setze sich mit der Kunst anderer auseinander, und HipHop basiere auf dem Prinzip des Zitats. Der Bundesgerichtshof gab Ralf Hütter 2008 Recht: Sampling sei zwar erlaubt, aber es müsse ein eigenständiges Werk entstehen, das sich deutlich von der Original-Sequenz unterscheide. Wenn man die Tonfolgen selber einspielen könne, müsse der Künstler das tun und dürfe das Original nicht verwenden. Der Streit landete vor dem Verfassungsgericht. Das Urteil erging gestern: Der Fall muss neu entschieden werden, der BGH soll noch einmal bewerten.

Tatsächlich steht das wichtigste Stilmittel der zeitgenössischen Musik vor Gericht, das Sampling, das Verwenden fremder Tonaufnahmen in eigener Musik also. Bisher ging es bei ähnlich gelagerten Auseinandersetzungen vor allem um Melodien. Die sind geschützt. Pharrell Williams und Robin Thicke mussten das erfahren, als sie 2015 zu mehr als sieben Millionen Dollar Strafe verurteilt wurden, weil sie sich für den Welthit "Blurred Lines" an Marvin Gayes "Got To Give It Up" vergriffen hatten. Bei Rhythmussequenzen und Bassläufen ist die Rechtslage weniger klar, obwohl Pop heute vor allem darauf gründet.

Pelhams Argumentation ist in Teilen nachvollziehbar, weil HipHop aus dem Sampling geboren wurde. Kraftwerk gehören zu den meistgesampelten Künstlern der Welt. Zuletzt baute Coldplay ihre Single "Talk" aus Elementen von Kraftwerks Titel "Computerliebe" zusammen. Hütter hat erwähnt, dass die Gruppe in einem auf Deutsch formulierten und handgeschriebenen Brief um Erlaubnis bat. Für die Urheber sind solche Abkommen ein gutes Geschäft. Man schätzt, dass allein 23 Prozent der Einnahmen für Kraftwerk-Rechte in den vergangenen 15 Jahren auf die vier populärsten Samples der Gruppe entfielen.

Das Bundesverfassungsgericht argumentiert nun, dass das Sample, das Pelham benutzt hat, so kurz gewesen sei, dass ein neues, eigenständiges Kunstwerk entstanden sei, ohne dass Kraftwerk dadurch ein wirtschaftlicher Schaden entstand. Ein Verbot würde "die Schaffung von Musikstücken einer bestimmten Stilrichtung praktisch ausschließen". Die Entscheidung des Gerichts könnte den Weg frei machen für einen angemessenem Umgang mit den Besonderheiten der Kunstform Popmusik. Sampling ist durch die Digitalisierung weiter vereinfacht worden. Das vom BGH gefällte Urteil passte nicht recht zur Realität. Dennoch kann man auch Hütter verstehen: Der Urheber muss zu seinem Recht kommen. Ob es eine Bezahlpflicht für sampelnde Musiker geben wird, ob der Schöpfer des Originals im Booklet der CD genannt werden muss, entscheidet nun der BGH. Außerdem soll der Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, weil das Urheberrecht seit 2002 EU-weit harmonisiert ist.

(hols)
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