Osnabrück Klimpern vom Olymp

Vor vielen Jahren war der italienische Musiker Ludovico Einaudi auf der Suche nach der Eingebung. Sie kam ihm beim Improvisieren am Klavier in Gestalt eines hübschen viertaktigen Modells aus vier Harmonien. Er wiederholte es einmal, dann häufiger, er kam vom Zehnten ins Hundertste, wie bei einer Endlosschleife. Das Modell änderte sich nicht, nur die Klänge darüber wurden fetter, wie ein Zuckerguss. Einaudi fand das wunderbar und erweiterte die Eingebung zum Programm: Mache wenig, das aber abendfüllend. Und wenn es allen gefällt, ändere es nicht mehr.

Seitdem gilt er als Schmeichler auf 88 Tasten. Alle Konzerte seiner Deutschlandtournee, die ihn am 16. Februar nach Düsseldorf führt, sind ausverkauft. Jeder weiß: Einaudi, das ist der mit dem größten Entspannungsfaktor. Man darf es aber auch für Klimpern vom Olymp halten. Seine Musik hat auffallend viel von Philip Glass und Arvo Pärt, ist aber deutlich simpler. Musik als fast regungsloser Zustand.

Vorgesehen war diese Schlichtheit nicht. Einaudi, 1955 in Turin geboren, ist der Spross einer der kunstsinnigsten Familien Italiens. Sein Großvater väterlicherseits war italienischer Staatspräsident, der andere Großpapa Komponist und Dirigent, der Vater ein wichtiger Verleger. Einaudi studierte in Mailand und nahm Kompositionsunterricht beim großen Luciano Berio. Trotzdem zog er es vor, im Hintergrund der Avantgarde zu bleiben und von seinem Weingut im Piemont aus als Handwerker durch die Konzertsäle der Welt zu ziehen: Er macht Musik, wie Maler Tapeten aufkleben und Elektriker Lampen aufhängen. Seine Musik möbliert Räume, das hat er von dem Franzosen Erik Satie gelernt. Und von Brian Eno, dem Erfinder der "ambient music". Einaudis Lieblingsfarbe ist die Melancholie.

Zwei Jahre Klavierunterricht dürften ausreichen, damit ein Eleve diese Stücke konzertreif vortragen könnte. Doch das Publikum verehrt Einaudi als Giganten seines Instruments und postet zu seinen YouTube-Konzerten: "Ich könnte ewig zuhören!" Manche kaufen sich sogar das Video des Films "Ziemlich beste Freunde", um einzig seiner Musik im Background zu lauschen.

Einaudis künstlerische Gesinnung hat etwas Schwäbisches: Er ist ein Cleverle. Töricht wäre er, wollte er das Modul seiner Kunst ändern. Kennt man ein Stück, dann kennt man alle. Seine Fans wollen das so. Und immer klingt es wie Moll, selbst wenn es Dur ist. Was das Geheimnis dieser Musik ist? Sie hat keins.

In Einaudis musikalischem Schlaflabor kommen auch die Zuhörer zur Ruhe. Ein YouTube-Konzertmitschnitt aus der Londoner Royal Albert Hall (mit 9500 Hörern ausverkauft) begibt sich als kollektive Therapiesitzung. Der Meister sitzt mit spärlichem Resthaar, kantiger Brille und grauen Koteletten am Klavier, ganz in Schwarz, wie aus dem Intellektuellen-Katalog, und gibt sich bescheiden. Nach 60 Minuten Konzert ist es zur Trance im Saal nicht weit. Dieses "Divenire"-Video bekam bis jetzt 72.000 Likes. Die Ablehnung hält sich dagegen eisern im dreistelligen Bereich. Wer zu Ludovico Einaudi geht, kennt die heilige Sparflamme, auf der bei ihm gekocht wird.

Diese minimalistische Kunst ist womöglich ein Symptom. Sie beschreibt den Rückzug in die Innerlichkeit, ins Elegische. Auch die Künstler der ausgebrannten Gesellschaft möchten für sich sein und nicht vom Getöse der Welt behelligt werden. "Dolce far niente", süßes Nichtstun, sozusagen die italienischen Momente der Musik - und Ludovico Einaudi ist ihr Dekorateur.

(w.g.)
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