Kim Gordon legt Memoiren vor Die Königin des Lärms

Düsseldorf · Kim Gordon, einst Bassistin der legendären Band Sonic Youth, hat ihre Memoiren geschrieben. Das Buch bietet wehmütigen Kulturklatsch.

 Das Buch von Kim Gordon ist in Deutschland bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.

Das Buch von Kim Gordon ist in Deutschland bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.

Foto: Verlag

Einmal besuchte Kim Gordon den Maler Gerhard Richter in seinem Atelier. Sie kannte ihn über seine damalige Ehefrau, die Künstlerin Isa Genzken, und obwohl er etwas fremdelte mit der Popkultur im Allgemeinen, hatte er eines seiner schönen und berühmten Kerzenbilder hergegeben, damit Kim Gordons Band Sonic Youth es für das Cover ihrer besten Platte verwenden konnte: "Daydream Nation" aus dem Jahr 1988. Man saß also zusammen in Köln, und Isa Genzken erzählte, dass der Kollege Jörg Immendorff aus dem nahen Düsseldorf sie gebeten habe, mal anzufragen, ob Sonic Youth nicht auf seiner Geburtstagsparty auftreten wolle. Ist der gut? Sollen wir das machen?, fragte Kim Gordon ihre Freundin. Unbedingt, antwortete die. Sollen wir das wirklich machen?, fragte Kim Gordon auch Gerhard Richter. Der indes schüttelte energisch den Kopf: Besser nicht. Und dann taten sie es nicht.

Dieses Buch ist voll von solchen Geschichten aus dem Nähkästchen: Es heißt "Girl In A Band", und geschrieben hat es Kim Gordon, einst Bassistin und Sängerin von Sonic Youth. Die Gruppe war bis zu ihrer Auflösung 2011 eine der einflussreichsten Indierock-Größen der vergangenen 30 Jahre - nicht nur, weil sie Nirvana förderte und zu Ruhm und Popularität verhalf. Kim Gordon wird als Vorbild verehrt, weil sie Weiblichkeit im Pop neu definierte. Sie gilt als cool, weil sie Geld mit einer avantgardistischen und so extremen wie aufregenden Musik verdiente, die ihre Spannung aus dem abrupten Wechsel von Stille und Krach bezog. Und außerdem bildete sie mit ihrem Ex-Mann, dem Sonic-Youth-Gitarristen Thurston Moore, das Königspaar des Lärms: 27 Jahre glückliche Ehe. Bis sie die eindeutige SMS einer jüngeren Frau auf dem Handy ihres Mannes fand.

Mit einer Abrechnung beginnen die Memoiren denn auch, und diesen Anfang liest man mit gemischten Gefühlen. Man sieht Ikonen ungern dabei zu, wie sie sich in menschliche Niederungen begeben, und Kim Gordon, das merkt man rasch, ist in puncto Verachtung allzu menschlich. Zum Glück schließt sie dann aber eine Geschichte an, die lesenswert ist, die im Grunde auch gar nicht in erster Linie von Musik handelt, sondern vom Jungsein und vom Altwerden. Es ist eine Geschichte der Wehmut und der Desillusionierung.

Im Mittelpunkt steht die Stadt New York, in die Kim Gordon aus ihrer kalifornischen Heimat zog. 1980 war das, und sie reiste mit ihrem Freund an, dem Künstler Mike Kelley. Sie schliefen die ersten Nächte im Apartment der Fotokünstlerin Cindy Sherman. Aus jeder Buchseite purzeln diese großen Namen. Kim Gordon kennt sie alle, hätte sie Thurston Moore nicht getroffen, wäre sie bildende Künstlerin geworden oder Kunstkritikerin. "Ich bin keine Musikerin", schreibt sie, was ja doch einigermaßen verblüffend ist. Und dann erzählt sie, wie sie mit Dan Graham und Raymond Pettibon darüber diskutierte, wie man die Gegenwart fassen kann, wie man Bilder findet für sie. Es ist faszinierend, durch Gordons Augen diejenigen beginnen zu sehen, deren Werke unsere Kultur heute prägen oder zumindest maßgeblich beeinflussen: Jeff Koons etwa, Julian Schnabel oder Tony Oursler.

New York muss das Paradies gewesen sein damals, ein Ort, an dem sich alle trafen und einfach loslegten und schufen. Die Stadt stand vor dem Bankrott, die Mieten waren billig, die Häuserwände schmückten Graffiti von Jean-Michel Basquiat. Es ist eine Geschichte vom Aufbruch, die Gordon erzählt, New York war "die große Unbekannte voller Möglichkeiten". Es ging nur darum, was genau man tun wollte. Sie entschied sich dafür, Krach zu machen, Krach als Ausdruck der Gegenwart: "Unsere Musik war realitätsnah, dissonant, dynamisch, weil das Leben mit seinen Extremen genauso ist."

Gordon arbeitete nebenbei für den Kunsthändler Larry Gagosian, einen Jugendfreund. Sie zimmerte Bilderrahmen, die er mit Reproduktionen zeitgenössischer Kunst bestückte und in Malls verkaufte. Sie bekam ein Kind mit Thurston Moore, Coco heißt die Tochter, und alle fragten, wie das denn gehe, ein Werk schaffen und Mutter sein. Und was die Leute noch fragten, war: Wie ist das als Frau in einer Band?

Das Desillusionierende ist, dass in diesem Buch eigentlich alles zerstört wird, was man an Kim Gordon schätzt, was man an dem Milieu verehrt, aus dem sie stammt. Liebe hat keine Dauer!, ruft dieses Buch. Das New York von früher gibt es nicht mehr! Liebe und Kunst passen nicht zusammen! Und Feminismus und Kapitalismus auch nicht! Jedenfalls nicht, wenn selbst eine Frau wie Kim Gordon schreibt, dass man Lärm besser verkaufen kann, wenn die Frau am Bass einen Rock trägt.

Letztlich funktioniert dieses Buch also wie die Musik von Sonic Youth: erstmal alles kaputthauen. Und am Ende eine Kerze anzünden. Gordon schickt ihren Gatten in die Wüste, die Tochter ins Studium und zieht zurück nach Kalifornien. Sie gründet eine neue Band und malt. Im letzten Kapitel sehen wir die 61-Jährige mit einem jüngeren Mann im Auto knutschen. Er will noch mit raufkommen, doch sie sagt: Geht nicht, ich muss jetzt Kunst machen.

"Ich bin frei", schreibt sie. Und das ist ja, was zählt.

(RP)
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