Kasper: Es war die Erfüllung einer Sehnsucht

Interview Kardinal Walter Kasper über die Errungenschaften und die Enttäuschungen des Zweiten Vatikanischen Konzils

Interview Kardinal Walter Kasper über die Errungenschaften und die Enttäuschungen des Zweiten Vatikanischen Konzils

Mülheim/Ruhr Kardinal Walter Kasper, 1933 in Heidenheim an der Brenz geboren, zählt zu den großen theologischen Köpfen der katholischen Kirche. Er lehrte Dogmatik in Münster und Tübingen und war Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 2001 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Maßgeblich lenkte er somit die ökumenischen Bestrebungen der katholischen Kirche. Vor zwei Jahren nahm Benedikt XVI. sein Rücktrittsgesuch – aus Altersgründen – an.

Wie haben Sie die Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils erlebt?

Kasper Ich habe mich erinnert, wie damals der erste Band von Karl Rahners Schriften erschien ist, dass ich den noch auf der Straße zu lesen angefangen habe, weil dort Dinge formuliert waren, die wir gar nicht so formulieren konnten. Ich habe diese Zeit aber nicht als Bruch erlebt, sondern als Erfüllung einer Sehnsucht. Mit einem Konzil hatte damals niemand gerechnet. Die Erwartungshaltung war danach natürlich enorm.

Was sind für Sie die größten Enttäuschungen und was die größten Erfüllungen des Konzils gewesen?

Kasper Es gab immer mal wieder kleinere Enttäuschungen. Für mich ungeheuer wichtig war die Konzeption des Dialogs. Als Bub bin ich natürlich nie in eine evangelische Kirche hineingegangen. Das war undenkbar. Das muss man sich heute einmal vorstellen! Es gab also mit dem Konzil einen großen ökumenischen Durchbruch. Dann folgte die Begeisterung und die Hoffnung, dass es mit der Einheit der Christen viel schneller vorangehen werde. Das waren zweifelsohne überzogene Hoffnungen.

Was ist aus dem Aufbruch des Konzils dann geworden?

Kasper Der eigentliche Umbruch kam ja dann mit der Studentenbewegung 1968. Das hat dann zurückgeschlagen auch auf die Kirche und eine Problematik herbeigeführt, die vorher nicht da war. Der Enthusiasmus der neuen Kirche ist mehr als gedämpft worden. Das neue Pfingsten, das Johannes XXIII. vorausgesagt hat, ist nicht eingetreten. Statt dessen folgte 1968 "Humanae Vitae", die aber zu Unrecht als Pillen-Enzyklika gilt.

Was ist denn Positives vom Zweiten Vatikanischen Konzil geblieben?

Kasper Sicherlich die Liturgie in der Muttersprache. Auch ist das kirchliche Leben heutzutage viel stärker an der Bibel orientiert; und natürlich gehört dazu der ökumenische, aber auch interreligiöse Dialog.

Wäre denn die Einigung in der Rechtfertigungslehre ohne das Vatikanum denkbar?

Kasper Das glaube ich nicht. Dass Rom überhaupt Verhandlungen mit dem Lutherischen Weltbund führt, ist vom Konzil überhaupt erst eingeleitet worden. Da ist schon viel in Bewegung geraten.

Welche Aufgaben sind denn noch unerledigt?

Kasper Zum Beispiel die Kollegialität des Episkopats. Man muss schon sagen, dass eine ziemlich starke Kurie in Rom das Heft wieder sehr stark in die Hand genommen hat. Da wäre noch manches zu tun – auch bei der Mitverantwortung der Laien in der katholischen Kirche. Aber auch eine spirituelle Vertiefung wäre dringend notwendig. Darum sollte man die Texte des Konzils mal wieder genau lesen.

Hat sich das Kirchenverständnis geändert?

Kasper Das Konzil hat die Kirche als eine charismatische Größe herausgestellt. Heute fällt man leider wieder auf ein rein institutionelles Kirchenverständnis zurück, indem wieder nur nach Reformen gerufen wird. Man muss die Kirche wieder als eine geistliche und universale Wirklichkeit ins Bewusstsein bringen. Das ist durch das Konzil angestoßen worden.

Ist momentan ein neues Konzil denkbar?

Kasper Im Augenblick mit Sicherheit nicht. Ich könnte mir aber denken, dass mit der Bischofssynode deutliche Impulse der Weltkirche eingebracht werden könnten. Auch das muss man bedenken: Erst durch das Zweite Vatikanum ist die katholische Kirche wirklich eine Weltkirche geworden. Es kann ja auch nicht alles nur von der Zentrale regiert werden. Die Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit müsste stärker betont werden.

(RP)
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