Isabelle Huppert in Höchstform

In " Ein Chanson für dich" spielt die 65-Jährige einen alternden Schlagerstar.

Die Handgriffe sind immer die gleichen. Am Fließband auf die Paletten mit Leberpasteten warten. Mit Preiselbeeren, Pfefferkörnern und einem Lorbeerblatt garnieren. Zurückstellen, nächste Palette. Die blasse, stille Frau in Schutzhaube und Schürze macht ihren öden Fabrikjob wie alle anderen. Niemand weiß so genau, wer sie ist. Liliane will auch keinem erklären müssen, woher sie kommt, sie schämt sich und mag sich nicht erinnern. Früher einmal, in einem anderen Leben, war Liliane ein gefeierter Star. Beim Eurovision Song Contest landete ihr Song auf Platz zwei, direkt hinter ABBA. Danach sollte die große Karriere kommen. Aber sie kam nie.

Über 30 Jahre ist das nun her. Da platzt in Lilianes Tristesse und selbstgewählte Einsamkeit der 22-jährige Amateurboxer Jean (Kévin Azaïs). Er erkennt in Liliane die einstige Ikone und das Idol seiner Eltern, und er verliebt sich auch in sie, einfach so. Leicht hat Jean es nicht mit Liliane, sie sträubt sich, gegen Gefühle allgemein und diese besonders. Weil der Junge ihr Sohn sein könnte und sie sich trotzdem zu ihm hingezogen fühlt. Weil er sie wieder zum Singen bringt und, noch schlimmer, zum Träumen. Und weil die Dinge eine verstörende Eigendynamik entwickeln, als Jean sich zu Lilianes Manager macht und ihre Karriere wieder in Schwung bringt.

Das Drama "Ein Chanson für dich" handelt nur am Rande von der großen Liebe zwischen einer reifen Frau jenseits ihrer Illusionen und einem jungen Haudrauf, der seine noch verteidigt. Regisseur Bavo Defurne ("Nordzee, Texas") erzählt in seinem speziellen Mix aus Romanze und Satire vor allem vom Showbiz, hundsgemein und seelenlos wie es sein kann. Liliane hatte ihre 15 Glamourminuten, denen Jahrzehnte in Enttäuschung und Unsichtbarkeit folgten. Der Film gibt ihr nun die utopische zweite Chance, um dann neugierig zu beobachten, was das mit ihr macht. Nicht, dass Defurne dabei nicht reihenweise Rampenlicht- und Beziehungsklischees hernehmen würde. Ohne seine Hauptdarstellerin würde sein Zeitgeistmärchen um späte Romantik und die Wegwerfmechanismen der Popkultur wohl früher oder später in seine Einzelteile zerfallen.

Isabelle Huppert nutzt wieder die Chance zu zeigen, warum viele sie für die beste Schauspielerin ihrer Generation halten. Mühelos macht die 65-Jährige Liliane, das Abziehbild des ausgedörrten, abgehalfterten Ex-Schlagersternchens in verschlissenen Paillettenkleidern, zu einer warmherzigen Person, die berührt. Die Glanzlichter, von Defurne bewusst so in Szene gesetzt, sind Lilianes Auftritte, auf der Bühne, im Live-TV.

Da legt die Huppert die Chansons hin, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht.

(wie)
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