Mülheim In Mülheim wird Jammern zur Kunst

Mülheim · Wortgewaltig bis geschwätzig: Neue Stücke von Felicia Zeller und Armin Petras setzen die Theatertage fort.

Weltuntergang. Ausgerechnet jetzt. Der rote Teppich ist doch ausgerollt, die Kameras sind platziert, endlich könnten die Drehbuchautorin, der Regisseur und die anderen Berühmtheiten ihre Preise bekommen, bewegende Reden halten, all ihre Selbstzweifel wieder gekonnt überspielen. Doch nun hocken sie in einem verfallenen Festsaal, zurückgeworfen auf sich selbst, und lamentieren über Ruhm, Schönheit, das Altwerden. Doch die Gedanken entgleiten ihnen, ihre Sätze fransen aus, ihre Geschichten kommen einfach nicht zustande.

Die Gegenwart hat den Faden verloren. Zumindest scheint das in einigen der aktuellen dramatischen Texte so, die das Mülheimer Theaterfest gerade versammelt. Felicia Zellers Groteske "Zweite allgemeine Verunsicherung" etwa ist der resignierte Gedankenstrom einer Gruppe verstörter Selbstdarsteller, die über ihre innere Leere jammern. Eine apokalyptische Textfläche, aus der sich der Zuschauer seine Geschichte zusammenreimen kann. Wer die Leute sind, welche Katastrophe geschah, bleibt ihrer Fantasie überlassen. Das Stück ist aus lauter Versatzstücken des alltäglichen Redens über Glamour, Stars, Aussehen, Selbstzweifel montiert und breitet eine groteske Jammeroberfläche aus. Da gibt es viele komische Momente, das Stück ist unterhaltsam. Doch es zielt ein weiteres Mal auf die Hohlheit der Unterhaltungsindustrie und ergötzt sich an der Wehleidigkeit des modernen Individuums, das die Orientierung verloren hat. Es ist also ein altes Lied, das Zeller da anstimmt.

Regisseur Armin Petras, der unter dem Namen Fritz Kater auch Stücke schreibt, setzt dagegen auf Masse und wuchtet mit "Buch (5 Ingredientes de la Vida)" einen vier Stunden-Abend auf die Bühne, in dem einsame Kinder vergeblich auf die Mama warten, Jugendliche aus der DDR am See heimlich Cola trinken, in der afrikanischen Savanne eine Elefantenkuh stirbt und ein Künstler-Papa am Sinn seiner Vaterschaft zweifelt. Es gibt Videos, wilde Choreografien, Live-Musik; das Publikum steht, wandelt, hockt auf Bänken. Doch bleibt bis zuletzt unklar, was diese Episoden zusammenhalten soll. Da ist nur der Wille zum Kraftakt. Die Lust an der Überforderung, ein Beharren auf dem Recht zur Versponnenheit von Kunst.

Man kann an diesem Abend abtauchen in diese oder jene Welt und Schauspieler bewundern, die nur eine Plastiktüte voll Wasser auf den Boden kippen müssen, um eine Jugend am See lebendig werden zu lassen. Doch der Erkenntnisgewinn ist gering. Und irgendwann macht das unwillig, denn er steht im grotesken Missverhältnis zum Aufwand, der für diesen Abend betrieben werden muss. So viele Worte, so viel Schweiß, doch so wenig Sätze und Gedanken, die verfangen.

Am Ende ziehen die Schauspieler als abgehalfterte Clowns über die Bühne. Erschöpft vom "Buch", das vom ganzen Leben erzählen wollte - und so wenig zu sagen hat.

Das Festival dauert noch bis zum 26. Mai www1.muelheim-ruhr.de

(dok)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort