Regisseur Fatih Akin im Interview "In Deutschland keine Integration"

Düsseldorf · Ein tragischer und doch wunderbar leicht erzählter Episodenfilm ist "Auf der anderen Seite", das neue Werk von Fatih Akin (34), ab Donnerstag im Kino. Deutschland schickt diesen Film ins Rennen um den Oscar für den besten nicht englisch-sprachigen Film. Ein Gespräch mit Fatih Akin über seine Oscar-Hoffnungen, göttliche Projektoren und die Gelassenheit eines jungen Vaters.

 Bekommt Ärger wegen seiner Kleiderwahl: Regisseur Fatih Akin.

Bekommt Ärger wegen seiner Kleiderwahl: Regisseur Fatih Akin.

Foto: ddp

Starten Sie nun auch eine Oscar-Werbetour durch die USA, wie es Henckel von Donnersmarck für "Das Leben der anderen" erfolgreich gemacht hat?

Akin Den Ehrgeiz und die Zielstrebigkeit von Henckel von Donnersmarck hab ich sehr bewundert, aber ich bin nicht der Typ, diese Wege zu gehen und alle diese Hände zu schütteln.

Hat ein Film, der sich mit dem deutsch-türkischen Verhältnis beschäftigt, Chancen auf den Oscar?

Akin Es ist ein europäischer Film, aber eben auch einer, der an der Grenze Europas, fast in Asien spielt. Wir haben den Film gerade auf Festivals in Manila und Toronto gezeigt und begeisterte Kritiken bekommen. Migration ist ein internationales Thema.

Ihre zugleich wütende und sensible Art, Filme zu machen, erinnert an Fassbinder. Stimmt der Vergleich?

Akin In gewissem Sinne schmeichelt er mir, weil Fassbinder so großartig war. Aber eigentlich halte ich den Vergleich für falsch. Wir haben zwar beide eine Vorliebe für Außenseiter - der alte Mann, der in den Puff geht und so weiter -, aber wir arbeiten so unterschiedlich. Bei Fassbinder musste alles perfekt sein, die Schauspieler durften keinen Satz ändern, bei mir passiert viel erst beim Drehen. Filmemachen ist für mich Kollektivarbeit, nichts darf festgefahren sein. Wasser muss fließen - so arbeite ich.

Trotzdem haben Sie eine tragende Rolle in Ihrem Film der großen Fassbinder-Darstellerin Hanna Schygulla gegeben. Wie kam es dazu?

Akin Ich habe sie 2004 kennen gelernt, und wir mochten uns auf Anhieb. Ich dachte, es würde mir gut tun, mit ihr zu arbeiten, und so habe ich ihr die Rolle auf den Leib geschrieben.

Verstehen Sie sich denn als politischer Filmemacher?

Akin Filmemacher haben gesellschaftliche Verantwortung, aber ich will meine Zuschauer nicht manipulieren. Ich reflektiere in Bildern und erzähle in Beobachtungen.

Das heißt, es geht nicht um eine Botschaft?

Akin Doch, natürlich, jede Menge Botschaften.

Zum Beispiel?

Akin Lest mehr Bücher! Oder: Nutzt die wenige Zeit, die euch bleibt, Menschen zu vergeben! Bei mir stecken diese Botschaften aber in der Handlung, der Zuschauer muss sie lesen.

Und was kann man in Ihrem Film zum Thema Integration lesen?

Akin Es findet in Deutschland keine Integration statt.

Woran liegt das?

Akin Es gibt zu viel Misstrauen, zu viel Angst sowohl bei den Einwanderern als auch auf der anderen Seite.

Sind Sie selbst nicht das beste Beispiel für gelungene Integration?

Lesen kann man in Ihren Filmen auch Bezüge zur griechischen Tragödie. Ihre Figuren laufen auf tragische Weise aneinander vorbei, erleiden hilflos ihr Schicksal. Sind Sie der Tragiker unter den deutschen Filmemachern?

Akin Ich glaube, dass es im Menschen ein Bedürfnis nach Tragödie, nach Traurigkeit gibt - und nach Katharsis, nach diesem Gefühl der Erlösung, wenn man einer tragischen Geschichte gefolgt ist. Und das gilt auch für mich: Wenn ich keine tragischen Filme machen könnte, wäre ich ein viel traurigerer Mensch. Ich würde aber auch gern mal eine Komödie machen.

Wieso sind Sie überhaupt beim Medium Film gelandet?

Akin Als ich fünf war, hab ich bei meinem Cousin die ersten Super-8-Filme gesehen. Da wurde der Projektor aufgebaut, Betttücher wurden vors Fenster gehängt. Das hat mich gebannt: Dieser ratternde Apparat, der bewegte Bilder an die Wand zauberte, das war Magie, das hatte etwas Göttliches. Damals wurde mir klar: Ich will da rein in diesen Projektor, das war mein Ruf.

Haben Sie die nächste Geschichte schon im Kopf?

Akin Ich schreibe gerade am Drehbuch, es wird ein historischer Film sein über Auswanderer, die in die USA gehen.

Sie sind inzwischen Vater. Hat das Ihre Arbeitsweise verändert?

Akin Ja, Vater zu sein ändert alles. Man findet vieles, was früher so wichtig war, nur noch trivial. Meine Familie ist mir wichtiger als die Kritiker in Cannes, wichtiger als der Oscar - Vatersein macht ungeheuer gelassen.

(RP)
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