"Mängelexemplar" Hier ist der Film besser als das Buch

Gelungen: "Mängelexemplar" nach dem Roman von Sarah Kuttner.

Sarah Kuttners Roman "Mängelexemplar" von 2009 war anstrengend, so wie seine Hauptfigur. Wild daher geplappertes Anglo-Schnodderdeutsch, hippe Klamotten, als Kulisse ein grell aufgemotztes Berlin. Und mittendrin Karo mit dem Job in der Medienbranche, die so formvollendet durch ihren Alltag flippt, dass sie ihre Angstattacken zuerst nicht mal als solche erkennt. Aber Kuttners Bestseller war auch liebenswert, wie Karo auch. Weil er einen ohne Wenn und Aber mitnahm in die splitternde Psyche einer Frau, die heile Welt spielt, während drinnen alles in Trümmern liegt.

Im Langfilmdebüt der Regisseurin und Drehbuchautorin Laura Lackmann ist Karos Welt weniger vollgepackt als im Buch. Lackmann verschlankt die Handlung, dünnt die inneren Dialoge aus, gibt den Nebenfiguren mehr Profil. Claudia Eisinger spielt Karo, die ihren Job verliert, als sie ihre Depression nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Karo hat auch einen coolen Freund, nicht weil sie ihn liebt, sondern weil man einfach einen hat, bis sie ihn an der Ampel aus dem Auto schmeißt, weil sie die Situation nicht mehr erträgt und sich selbst schon gar nicht. Karos Gitarre spielender Vater (Detlev Buck), hin und wieder in der Kneipe zu sehen, ist das Klischee des untauglichen Erzeugers. Die Mutter (Katja Riemann) kämpft selbst mit depressiven Schüben. Die beste Freundin Anna (Laura Tonke aus dem anderen Angstdrama "Hedi Schneider steckt fest") bricht die Beziehung ab, als ihr Vater stirbt und es trotzdem wieder mal nur um Karo geht.

Karo auf Distanz zu halten, ist praktisch unmöglich. Zu allgegenwärtig sind ihre schwarzen Gedanken, die als Voice Over parallel zu ihren Sätzen eingespielt werden. Zu schnell taumelt Karo von einem Gefühlstief ins nächste, vom Drang, sich von der Fensterbank zu stürzen, in die Psychoanalyse. An Karos Therapie-Eifer zeigt sich dann überhaupt am besten ihr Dilemma: Mängelexemplare werden aussortiert, also muss alles effizient durchdacht, schnell erledigt und dann ad acta gelegt werden. Selbst die Sanierung der eigenen Seele. "Haben Sie Suizidgedanken?", fragt ein Arzt. "Ich habe eher Gedanken über Suizidgedanken", antwortet sie. Wieso einfache Antworten geben, wenn alles so kompliziert ist?

Lackmanns fordernd unterhaltsamer Ton, ihre Sprunghaftigkeit und die flockigen Komödiendialoge täuschen oft darüber hinweg, dass "Mängelexemplar" von den unbequemen Dingen handelt, die an der Basis passieren. Vom Drama einer Frau, die ihr Leben gern als Feelgood-Movie sehen würde und gerade merkt, dass sie sich im falschen Film befindet. Es dauert, bis Karo begreift, dass sie dieses Problem nicht wird lösen können. Dass sie selbst das Problem ist.

(RP)
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