Neustrelitz Scharfrichter der DDR-Literatur

Neustrelitz · Der Schriftsteller Hermann Kant ist im Alter von 90 Jahren gestorben.

"Schuft magst du ja sein, aber Schreiben kannst du ganz ordentlich", hatte Hermann Kant einmal zutreffend seine eigene Rolle als Schriftsteller und Parteifunktionär in der DDR beschrieben. Kaum ein anderer Autor war so heftig umstritten und trotzdem geachtet.

War es eine Satire auf Stasi-Methoden, ein autobiografisch fundierter Versuch der Rechtfertigungsprosa? Oder lediglich ein verunglückter Roman? Diese Fragen warfen sich nach der Lektüre von Kants letztem Roman "Kennung" (2010) auf, in dem er die Figur des Literaten Linus Cord durch die hartnäckige Stasi-Anwerbemaschinerie schickte. Das war der bisher letzte gewagte Kantsche Spagat zwischen Literatur und Politik.

Als Schriftsteller und Verbandsfunktionär wandelte Kant viele Jahre auf einem schmalen Grat zwischen Kunst und Politik und geriet dabei zwischen die Mühlsteine der Machthaber. Unter seiner Ägide wurde der DDR-Schriftstellerverband rigide von sogenannten staatsfeindlichen Mitgliedern gesäubert.

Als "Staatsknecht" und "Scharfrichter" wurde das spätere ZK-Mitglied der SED nach der von ihm mitgetragenen Biermann-Ausbürgerung und den Verbands-Ausschlussverfahren gegen renommierte Kollegen (Stefan Heym, Adolf Endler und Klaus Schlesinger) bezeichnet. Einsicht oder gar Reue war nicht Kants Sache. Im Gegenteil: Der Gescholtene verteilte in seiner 1991 erschienenen Autobiografie noch einmal kräftige verbale Hiebe und versuchte die in der DDR verfolgten Autoren aus der Opfer- in die Täterrolle zu drängen.

Kant, der am 14. Juni 1926 in Hamburg als Sohn eines Gärtners geboren wurde, erklomm nach einer Elektrikerlehre und polnischer Kriegsgefangenschaft auf paradigmatische Weise die sozialistische Karriereleiter. Dem Studium an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Greifswald folgten ein Germanistikstudium bei Alfred Kantorowicz in Ost-Berlin. 1969 wurde er in die Akademie der Künste gewählt und später mit allen wichtigen Auszeichnungen der DDR und 1986 mit dem Orden der Völkerfreundschaft des Obersten Sowjet der UdSSR geehrt.

Sein literarisches Debüt gab der talentierte Vollbluterzähler Hermann Kant, dessen Werke in zwanzig Sprachen übersetzt wurden, 1962 mit dem Prosaband "Ein bisschen Südsee". Drei Jahre später folgte das wohl heute noch wichtigste literarische Werk, der Roman "Die Aula" (1965). Aus der Perspektive des Protagonisten Robert Iswall, der autobiografische Züge trägt, bilanziert Kant (nicht unkritisch) die Gründerjahre der DDR und appelliert offen für ein waches Geschichtsbewusstsein.

Hermann Kant, der gestern im Alter von 90 Jahren in einem Krankenhaus in Neustrelitz gestorben ist, gehörte - seinen politischen Irrungen und Wirrungen zum Trotz - dennoch zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.

(RP)
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